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Konservative Folklore

24. August 2016

Politiker der Union überbieten sich derzeit mit sicherheitspolitischen Forderungen. Die neuste: Wiedereinführung der Wehrpflicht. Meinen die das ernst? Nein, glaubt DW-Redakteur Mathias Bölinger.

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Feierliches Gelöbnis von Rekruten (Bild: dpa)
Dass die Reihen dieser Freiwilligen demnächst wieder mit Wehrpflichtigen aufgefüllt werden könnten, hält unser Autor für unwahrscheinlichBild: picture-alliance/dpa

Ach, Heimatschutzbataillon. Das klingt doch nach Vergangenheit. Heimatschutzbataillone waren Teil der Verteidigungsstrategie der Bundesrepublik im Kalten Krieg. Es waren Einheiten von Reservisten, die im Kriegsfall zusammenkommen sollten, um Objekte im Inland zu schützen. 2007 wurden sie abgeschafft. Jetzt sind sie wieder auferstanden – zumindest als Wortmeldung in den Nachrichtenagenturen. Denn der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg fordert ihre Wiedereinführung – gemeinsam mit der Wehrpflicht, die 2011 ausgesetzt wurde. Faktisch wurden solche Reservebataillone schon 2012 wieder eingeführt, in veränderter Form und unter neuem Namen. Sie heißen jetzt "Regionale Sicherheits- und Unterstützungskräfte". Der Oberstleutnant der Reserve Sensburg hätte das wissen können. Aber das klingt eben überhaupt nicht nach vergangenen Zeiten.

Verbale Aufrüstung

Burka-Verbot, Ende der doppelten Staatsbürgerschaft, Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Loyalität von Einwanderern, mehr Polizei, Überwachungskameras, Gesichtserkennungssoftware, dazu ein neues Konzept zum Katastrophenschutz – seit Tagen rattern täglich konservative Forderungen über die Nachrichtenticker. Insbesondere die massive - verbale - Aufrüstung beim Thema Innere Sicherheit steht in merkwürdigem Gegensatz zu der relativen Gelassenheit, die Umfragen nach der Terrorserie von Ende Juli bei den Deutschen erkennen lassen. Ein Widerspruch? Nein, denn nicht die Bevölkerung ist in Panik, sondern die Konservativen. Am rechten Rand wandern den Unionsparteien massiv Wähler zu den Rechtspopulisten ab.

DW Bölinger Mathias
DW-Redakteur Mathias BölingerBild: DW/C. Becker-Rau

Konservatismus war einmal die dominierende politische Ideologie in Deutschland. "Keine Experimente" plakatierte die Union vor fünfzig Jahren und gewann damit Wahlen. Es dürfte einer der erfolgreichsten Wahlslogans der Nachkriegszeit gewesen sein. Zumindest ist es der meistzitierte. Nur ist das eben schon fünfzig Jahre her. Die Mehrheit der Gesellschaft denkt heute nicht mehr so wie in den fünfziger Jahren. Deutschland ist vielfältiger, liberaler, weltgewandter geworden. Im Milieu der Traditionsbewussten, wie Soziologen heute sagen, lassen sich zwar noch Stimmen gewinnen, aber keine Wahlen mehr.

Merkels Gegner wittern Chancen

Angela Merkel hat daraus den Schluss gezogen, dass sie ihre Partei verändern muss, um Mehrheiten zu bekommen. Die CDU ist liberaler geworden. Und weil der Erfolg ihr Recht gegeben hat, hatten ihre Gegner wenig Chancen, diesen Prozess aufzuhalten. Das gilt im großen Ganzen auch jetzt noch, auch wenn Merkels Flüchtlingspolitik sie einige Popularitätspunkte gekostet hat und ihre Gegner beflügelt hat. Aber so radikal hat sich die Gesellschaft nicht gewandelt. Die Beliebtheitsliste führen nach wie vor Politiker an, die für moderate Positionen stehen und Merkels Politik mittragen. Und die Mitte aufgeben, um den Rand zu gewinnen, ist keine Strategie. Ein paar Signale in dessen Richtung zu senden hingegen schon – zumindest in Wahlkampfzeiten. Deshalb ist vieles von dem, was derzeit gefordert und formuliert wird, vor allem Folklore für ein bestimmtes Milieu. Das Vokabular verrät es.

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DW Autorenbild Mathias Bölinger / Leiter Investigation
Mathias Bölinger DW-Reporter und Leiter Investigation, zuvor Korrespondent in Kyjiw und Pekingmare_porter