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Kommentar: Keine Nobelpreise für alte Kamellen!

Brigitte Osterath8. Oktober 2015

Chemiker sind oft enttäuscht darüber, wer den Nobelpreis in "ihrer" Kategorie bekommt. Die diesjährige Entscheidung kann die Journalistin und promovierte Chemikerin Brigitte Osterath gar nicht mehr nachvollziehen.

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Nobelpreis Medaille mit dem Konterfrei von Alfred Nobel Foto: BERIT ROALD/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Eigentlich bräuchten wir noch einen weiteren Nobelpreis: für Biologie und Biochemie. Aber daran hat Alfred Nobel nicht gedacht. Nicht verwunderlich: Damals, Ende des 19. Jahrhunderts, als Nobel sein Testament verfasste, war die DNA noch nicht entdeckt und das Feld der Genetik und der Biochemie existierte in dieser Art noch gar nicht.

Mittlerweile ist der Chemie-Nobelpreis inzwischen zu so etwas verkommen wie dem "Nobelpreis für Chemie und für alles, was nicht in die anderen Kategorien passt". Richtige Chemie zeichnet das Nobelpreiskomitee nur noch selten aus.

Im Jahr 2012 etwa ging der Nobelpreis für Chemie an Robert Lefkowitz und Brian Kobilka für ihre Studien an G-Protein-gekoppelten Rezeptoren - ganz klar Biochemie. Im Chemiestudium lernt man darüber jedenfalls nichts.

Voriges Jahr dann der Chemie-Nobelpreis für drei Forscher, inklusive dem Deutschen Stefan Hell, für die Entwicklung der Fluoreszenzmikroskopie. Eine gewaltige wissenschaftliche Leistung, die die Forschung extrem vorangebracht hat, keine Frage. Aber Chemie? Nö. Biophysik eher. Selbst die Pressestelle im Deutschen Krebsforschungszentrum, wo Stefan Hell arbeitet, war nach der Vergabe erstaunt und sagte mir: "Chemie-Nobelpreis? Wir hatten eher damit gerechnet, dass er irgendwann den Physik-Nobelpreis bekommt."

Aber wie gesagt, daran sind Chemiker inzwischen gewöhnt. Dieses Jahr allerdings kommt noch ein weiteres Ärgernis hinzu.

Jahrzehntealt

Wie das weiße Kaninchen aus dem Hut, zauberte das Nobelpreiskomitee während ihrer Pressekonferenz die Preisträger Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar auf die Leinwand. Die Leistung der drei: mechanistische Studien der DNA-Reparatur.

Brigitte Osterath Foto: privat
Wissenschaftsjournalistin und promovierte Chemikerin Brigitte OsterathBild: Privat

"DNA-Reparatur?", dachte ich etwas verwirrt, als das Komitee seine Entscheidung bekannt gab. Das wird doch wohl nicht das sein, worüber ich schon damals für meine Abiturprüfung in Biologie (!) gebüffelt hatte, oder? Doch, genau das: Enzyme scannen DNA auf Schäden, flicken diese wieder und verhindern so Krebs. Ein alter Hut, mit Verlaub gesagt.

Veröffentlicht haben die drei Laureaten ihre Ergebnisse in den Jahren 1974, 1983 und 1989. Erst jetzt, 26, 32 bzw. ganze 41 Jahre später bekommen sie dafür die Auszeichnung, die sie schon längst verdient hätten.

Immer auf Nummer sicher

Wie viel mutiger und zeitgemäßer wäre es dagegen gewesen, hätte das Nobelpreiskomitee ein junges und weltweit Wellen schlagendes Thema mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Zum Beispiel die CRISPR-Technik. Für viele war die dieses Jahr ein heißer Favorit für den Chemie-Nobelpreis. Mit der neu entwickelten Methode lassen sich gentechnisch veränderte Organismen erschaffen. Zwar ist auch das keine "richtige" Chemie, aber immerhin eine biochemische Technik, die erst 2012 das erste Mal veröffentlicht wurde und seitdem die Forscher rund um die Welt in Atem hält. Sie ermöglicht Dinge, an die zuvor noch niemand gedacht hatte.

Bedauerlicherweise konnte dieser Neuling das eher konservative Nobelpreiskomitee nicht begeistern. Möglicherweise weil sie sehr kontrovers ist: Mit ihr ließen sich auch Designerbabys erschaffen.

Sind Rentner die besseren Nobelpreisträger?

Alfred Nobel verfügte in seinem Testament, dass diejenigen einen Nobelpreis bekommen sollten, die "im vorangegangenen Jahre der Menschheit den größten Nutzen erwiesen haben".

In der Wissenschaft lässt sich das natürlich nicht realisieren. Forschung braucht Zeit. Vieles, das zunächst als verrückte Idee in einem Labor entsteht, muss zunächst von mehreren Seiten verifiziert, dann erprobt und auf ihre Sinnhaftigkeit untersucht werden. Es gibt möglicherweise Kontroversen, und die sind zu klären. Dabei gehen leicht ein paar Jahre ins Land.

Das Wissen um die Mechanismen der DNA-Reparatur allerdings ist seit Jahrzehnten in der weiterführenden Forschung etabliert. Es gehört schon fast zum Grundlagenwissen. Daher ist es absolut unverständlich, dass die Forscher erst zu älteren Herren heranreifen mussten, bis die Entscheider sie eines Nobelpreises für würdig befanden.

Das wäre so, als würden Nelson Mandela und Frederik Willem de Klerk den Friedensnobelpreis für das friedliche Ende der Apartheid erst im Jahr - sagen wir mal - 2018 bekommen - weil man so lange abwarten wollte, ob Südafrika auch wirklich stabil bleibt und die Apartheid nicht doch plötzlich wieder zurückkehrt. Wobei Nelson Mandela inzwischen gestorben ist und daher nach dem Willen Alfred Nobels gar nicht mehr geehrt werden könnte.

Vorschusslorbeeren wie im Falle von Barack Obama, der im Jahr 2009 vorschnell den Friedensnobelpreis bekam, will sicher niemand. Aber ein bisschen schneller reagieren sollte das Nobelpreiskomitee auch in der Wissenschaft.