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Gute Nachricht nur auf den ersten Blick

15. Oktober 2009

Die deutsche Wirtschaft kommt nach Ansicht der führenden Forschungsinstitute im nächsten Jahr aus der Krise. Eine richtig gute Nachricht ist das aber nur auf den ersten Blick. Rolf Wenkel kommentiert.

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Bild: DW

Was sind Prognosen eigentlich wert? Noch vor einem halben Jahr überboten sich die Prognostiker mit Negativzahlen: Die deutsche Wirtschaft werde im laufenden Jahr um fünf, sechs, ja sogar sieben Prozent schrumpfen, hieß es da. Und auch für 2010 rechneten die meisten mit einem Minuszeichen vor der Prozentzahl. Nun aber macht die ganze Gilde eine Kehrtwende und überbietet sich in Optimismus. Die Europäische Union erklärt die Krise für beendet, die Forschungsinstitute rechnen im nächsten Jahr mit einem Wachstum von 1,2 Prozent. Oder darf es noch ein bisschen mehr sein? Bitteschön: Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe, rechnet sogar mit einem Plus von 2,7 Prozent im nächsten Jahr.

Seriosität ist gefragt

Das wirft Fragen auf. Wie seriös sind eigentlich Prognosen, die mit Zahlen hinter dem Komma arbeiten? Hier wird eine Genauigkeit und Präzision suggeriert, über die Volkswirte und Statistiker nur lächeln können. Ehrlicher und seriöser wäre es, wenn die Zunft sich auf einen Korridor einigen würde, nach dem Motto: Die deutsche Wirtschaft könnte im nächsten Jahr irgendwo zwischen einer schwarzen Null und einer Eins vor dem Komma landen.

Rolf Wenkel, Wirtschaftsredaktion

Und selbst das ist noch mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Denn im nächsten Jahr fallen zwei Krücken weg, die dem Patienten bislang geholfen haben: Die massiven Konjunkturprogramme der Bundesregierung laufen aus und verlieren ihre Wirkung, der Staat wird spätestens 2011 einen harten Konsolidierungskurs fahren müssen und als Nachfrager von Gütern und Dienstleistungen praktisch ausfallen. Und auch der private Konsum, der bislang für eine Belebung in der zweiten Jahreshälfte gesorgt hat, steht auf tönernen Füßen. Denn es ist klar, dass uns der Höhepunkt der Krise auf dem Arbeitsmarkt noch bevorsteht. Die Entlassungswelle ist dank der großzügigen Kurzarbeitregelung nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Vermutlich Anfang des Jahres werden die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen, und das wird auf den privaten Konsum drücken.

Zahlreiche Unwägbarkeiten

Hinzu kommen weitere Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Denn mit der Erholung der Weltkonjunktur werden auch wieder die Preise für Rohstoffe und Energie steigen, was die Kalkulation vieler Unternehmen erheblich belasten wird. Und was ist, wenn die internationalen Anleger weiter Vertrauen in den Dollar verlieren und der Kurs des Euro weiter steigt? Das könnte die deutsche Exportindustrie noch unangenehm zu spüren bekommen.

Und das ist noch längst nicht alles. Denn den Banken stehen noch erhebliche Abschreibungen auf Risikopapiere bevor, und das wird sich auf die Vergabebedingungen für Unternehmenskredite auswirken. Schließlich und endlich wird auch die Europäische Zentralbank ihre Politik des billigen Geldes nicht ad infinitum fortsetzen können, ohne neue Inflationsgefahren heraufzubeschwören. Höhere Leitzinsen aber verteuern auch die Schulden, die der Staat macht. 75 Milliarden Euro beträgt das Haushaltsdefizit in diesem Jahr, und im nächsten Jahr wird das Loch einschließlich aller Nebenhaushalte wohl 125 Milliarden Euro betragen. Oder anders ausgedrückt: Schon in diesem Jahr reißt Deutschland die Maastricht-Hürde von drei Prozent, und im nächsten Jahr wird die Nettoneuverschuldung sogar über fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.

Wer da noch glaubt, den Bürgern Steuergeschenke machen zu können und der Wirtschaft zu einem Aufschwung zu verhelfen, der sich selbst trägt, der hat ganz offensichtlich vergessen, seinen Taschenrechner zu benutzen.

Autor: Rolf Wenkel

Redaktion: Monika Lohmüller