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Politik

Gebremste NSU-Aufklärung

4. November 2016

Fünf Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremistischen Terrorgruppe fällt die juristische und politische Bilanz zwiespältig aus. Und daran wird sich wohl nicht mehr viel ändern, befürchtet Marcel Fürstenau.

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Bild: Imago/Christian Mang

Es war ein großes Versprechen, das Angela Merkel den Familien der NSU-Opfer gab: "Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck." Das sagte die Bundeskanzlerin im Februar 2012 auf der zentralen Trauerfeier in Berlin. Drei Monate nach der Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) weckten diese Worte nicht nur bei den Angehörigen der zehn Toten große Hoffnungen. Aber sie wurden überwiegend enttäuscht. Das liegt vor allem am Verlauf des NSU-Prozesses.

Strafmaß für Beate Zschäpe völlig offen

Dreieinhalb Jahre dauert das Strafverfahren vor dem Münchener Oberlandesgericht inzwischen. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wird irgendwann im kommenden Jahr vielleicht zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Es kann aber auch ganz anders kommen, denn eine unmittelbare Beteiligung an der Mordserie ist ihr nach heutigem Stand kaum nachzuweisen. Ein milderes Urteil ist also durchaus möglich. Die Opfer-Familien dürften das nach dem schrecklichen Verlust ihrer Angehörigen als zusätzliche Demütigung empfinden. Solche Gefühle sind menschlich nur allzu verständlich. Doch darauf kann in einem rechtsstaatlichen Verfahren natürlich keine Rücksicht genommen werden.

Kommentarfoto Marcel Fürstenau Hauptstadtstudio
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Das Strafverfahren krankt aber an einem ganz anderen Punkt: Es ist - so paradox es klingen mag - trotz seiner beispiellosen Dimension im Kern zu eng gefasst. Das liegt zunächst an der Bundesanwaltschaft, die stur an ihrer These vom Terror-Trio festhält: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt. Dass die drei das Herz des NSU bildeten, ist klar. Aber es konnte nur mit Hilfe vieler Unterstützer fast 14 Jahre unentdeckt aus dem Untergrund zuschlagen. Vier von ihnen sitzen in München neben und hinter Zschäpe auf der Anklagebank.

Damit räumt auch die Bundesanwaltschaft im Wortsinne sichtbar ein, dass es rund um den NSU ein Netzwerk gegeben haben muss. Nach Überzeugung der Nebenkläger war das aber viel größer. Und es ist längst unmöglich, daran zu zweifeln. Dafür gab es im persönlichen Umfeld der drei NSU-Gründer viel zu lange viel zu viele zwielichtige Figuren aus der rechtsextremistischen Szene und des Verfassungsschutzes. Etliche von ihnen sind im NSU-Prozess oder vor den zahlreichen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen als Zeugen aufgetreten.

Wusste staatlicherseits jemand Bescheid über den NSU?

Manche von ihnen hätten vielleicht in Erklärungsnot geraten können, wenn womöglich belastende Akten geöffnet und in das Strafverfahren eingeführt worden wären. Aber darauf abzielende Beweisanträge werden vom Strafsenat verlässlich abgelehnt, worüber sich die Bundesanwaltschaft jedes Mal still freuen darf. Die Nebenkläger hingegen fühlen sich in ihrer Überzeugung bestärkt, damit würden Missstände in deutschen Sicherheitsbehörden oder gar die Verstrickung von deren Mitarbeitern in den NSU vertuscht. Eine nicht zu beweisende Unterstellung, die jedoch nachvollziehbar ist angesichts der Mauertaktik der Politik.

Und hier kommt wieder Merkels Versprechen ins Spiel, alles zu tun, um die Morde aufzuklären: Wenn es wirklich stimmt, dass "alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck" daran arbeiten, dann müssen sie endlich alles mit NSU-Bezug preisgeben. Was hindert die Kanzlerin daran, das Thema zur Chefsache machen? Gerade in Zeiten, in denen die Sicherheitsbehörden selbst das Entstehen neuer rechtsterroristischer Strukturen für möglich halten. "Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nicht wiederholen kann." Auch dieses Zitat stammt aus Angela Merkels Rede bei der Trauerfeier für die NSU-Opfer.        

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Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland