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Familienpolitische Kehrtwende

Frank Sieren
Frank Sieren
30. Oktober 2015

Überraschung in Peking: Die chinesische Führung hebt die strikte Ein-Kind-Politik auf und gestattet künftig zwei Kinder. Das Bevölkerungsproblem wird sich damit aber nicht automatisch lösen, meint Frank Sieren.

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China Chinesische Kinder
Bild: Getty Images/ChinaFotoPress

1979 war die Ein-Kind-Politik eine sehr gute Idee. Der große Reformer Deng Xiaoping hat sie damals eingeführt. Sie hat verhindert, dass China heute 300 Millionen Menschen mehr ernähren muss.

Doch inzwischen überwiegen die Nachteile: China hat zu viele Alte, zu wenig Frauen und zu wenig Arbeitskräfte. Nun dürfen alle chinesischen Ehepaare zwei Kinder bekommen. Im Durchschnitt bringt eine chinesische Frau derzeit 1,55 Kinder zur Welt. China braucht aber eine Quote von 2,1 Kinder, um eine stabile Bevölkerungsdichte zu garantieren. Vor rund zwei Jahren wurden die Regeln zur Ein-Kind-Politik schon einmal gelockert. So durften Paare, von denen ein Partner Einzelkind ist, ein zweites Kind bekommen. Zuvor mussten beide Partner Einzelkinder sein, damit eine Erlaubnis für weiteren Nachwuchs erteilt wurde.

Kein Volk altert schneller

Peking erhoffte sich schon damals, dass dadurch etwa zehn Millionen Paare zusätzlichen Nachwuchs planen. Aber diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Vor drei Monaten erst überraschten Schätzungen des chinesischen Wissenschaftlers Zhang Juwei, Direktor am Institut für Bevölkerung und Arbeitswirtschaft an der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, die chinesische Öffentlichkeit: Er und seine Kollegen gehen davon aus, dass die Volksrepublik ihren Bevölkerungsgipfel bereits in zehn Jahren - 2025 also - mit 1,41 Milliarden Menschen erleben wird. Bis 2050 soll deren Zahl auf rund 1,3 Milliarden fallen. Damit hätte China dann rund 70 Millionen Einwohner weniger als heute.

Die Ein-Kind-Politik hat auch dazu beigetragen, dass immer weniger junge für die vielen Rentner des Landes aufkommen: In den 30 Jahren der strikten Linie ist bis 2010 das Durchschnittsalter um ganze zwölf Jahre auf 34,5 Jahre gestiegen. Im Vergleich zu Deutschland, wo der Altersdurchschnitt derzeit bei 45 Jahren liegt, ist das zwar noch immer sehr jung. Doch gefährlich ist vor allem das Tempo, mit dem sich China wandelt: Innerhalb der nächsten 25 Jahre soll die Zahl der Rentner auf 329 Millionen steigen und sich damit fast verdoppeln. So schnell ist bisher noch kein Volk gealtert! Der arbeitende Anteil der Bevölkerung - Menschen zwischen 20 und 60 - würde dann von 817 Millionen auf 696 Millionen sinken.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Autor Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in PekingBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Junge Eltern brauchen Hilfen

Für die Zukunft heißt das: sinkende Arbeitskraft und steigende finanzielle Belastungen im Sozialsystem. Mit den bereits angekündigten Reformen allein war es nicht möglich, eine solche Schieflage wieder gerade zu rücken. Ob es aber die neue Zwei-Kind-Politik richten wird, bleibt ungewiss. Denn schon die erste Lockerung der Ein-Kind-Politik haben weit weniger Familien genutzt, als sich die Behörden das erhofft hatten. Bei der Entscheidung, ob man als junges Paar Nachwuchs in die Welt setzen soll oder nicht, spielen in Chinas Großstädten längst die gleichen Faktoren eine Rolle wie in Europa: die eigene berufliche Laufbahn und die Kosten. Gerade der Generation der jungen Chinesen, die als Einzelkinder aufgewachsen sind, ist Karriere wichtig wie nie zuvor.

So wichtig, dass oft kaum Zeit bleibt, auch nur ein einziges Kind groß zu ziehen, geschweige denn zwei. Hinzu kommt: Die Erziehung des Nachwuchses ist teuer in Chinas Großstädten. Ein Kindergartenplatz, die Schul- und Universitätsbildung werden auch in China immer teurer. Wenn China also das Volk motivieren will, wieder mehr Kinder zu zur Welt zu bringen, muss die Regierung auch in diesen Bereichen Reformen vorantreiben. Oder sie muss Babys subventionieren. Das wäre dann der nächste Schritt im bevölkerungsreichsten Land der Welt.

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