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Für eine Entschuldigung ist es nie zu spät

10. Mai 2016

71 Jahre nach dem Atombomben-Abwurf wird erstmals ein amtierender US-Präsident Hiroshima besuchen. Eine Entschuldigung ist nicht zu erwarten, aber längst überfällig, meint Alexander Freund in seinem Kommentar.

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Barack Obama besteigt die Air Force One (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa/H.-C. Dittrich

Mussten tatsächlich 71 Jahre vergehen, bis ein amtierender US-Präsident sich bereit erklärt, Hiroshima zu besuchen? Nicht etwa, um sich im Namen der letzten verbliebenen Supermacht zu entschuldigen, das schloss das Weiße Haus vorab direkt aus, sondern einfach nur, um den Ort zu besuchen, an dem der Opfer des ersten Atombombenabwurfs gedacht wird. Immerhin, es ist eine symbolträchtige Geste. Mehr aber auch nicht. Obama reist für diese Geste auch nicht extra an, sondern ist zum G7-Gipfel ohnehin in Japan. Statt sich zu entschuldigen will sich Obama gemeinsam mit dem japanischen Premier Abe "für Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen" einsetzen, hieß es.

Obamas Außenminister John Kerry hat es ihm Anfang April vorgemacht, als Kerry als erster US-Außenminister an der alljährlichen Gedenkveranstaltung in Hiroshima teilnahm. Auch von ihm gab es kein Wort der Entschuldigung, nur ernste Blicke. Und weil es quasi auf dem Weg liegt, wird Obama vor der Japan-Stippvisite übrigens den ehemaligen Kriegsgegner Vietnam besuchen. Auch dort soll es aber nicht um die belastete Vergangenheit gehen, sondern um die Zukunft, sprich um den Ausbau der bilateralen Beziehungen.

71 Jahre, zwei Besuche, keine Entschuldigung. Ich finde dies beschämend! Jedes Land muss selber wissen, wie es mit seiner Vergangenheit umgeht, aber ich bin froh, dass wir Deutschen uns unserer Schuld gestellt haben. Dieses Schuldeingeständnis war die Voraussetzung für eine Entschuldigung, und nur dadurch war eine Aussöhnung möglich. Das mag man als Schwäche oder übertriebene Vergangenheitsbewältigung abtun, aber Willy Brandts Kniefall in Warschau habe ich immer auch als wichtiges Zeichen der Stärke empfunden.

Voraussetzung für Aussöhnung

Nun, niemand erwartet von einem Obama einen Kniefall vor den Opfern der Atombombenabwürfe. Auch das Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten ist mit den noch so verdammenswerten Atombombenabwürfen nicht vergleichbar. Aber: Obama sollte sich bei seinem Besuch in Hiroshima für das begangene Leid entschuldigen. Denn der Einsatz der Atomwaffen war ein Verbrechen, das auch nicht damit zu rechtfertigen ist, dass der Pazifik-Krieg ohne Atombombenabwurf möglicherweise noch viel länger gedauert hätte und bei einer Invasion viele unschuldige Menschen gestorben wären.

Vielleicht stimmt es sogar, aber selbst wenn, so war der Einsatz der Atomwaffen ein Sündenfall. Spätestens nach Hiroshima wusste das jeder, beim Abwurf über Nagasaki ging es den USA nur noch darum, eine neue Waffe zu testen und Stärke zu demonstrieren. Gegenüber den Japanern, vor allem aber gegenüber Russland. Hier ließ die Supermacht USA zum ersten Mal ihre nuklearen Muskeln spielen und setzte damit die atomare Aufrüstungsspirale in Gang, deren Nachwirkungen wir noch heute spüren. Es ist ja ehrenwert, dass sich Obama gemeinsam mit dem japanischen Premier Abe "für Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen" einsetzen will, aber genau diesen Fluch haben die USA mit den beiden Atombombenabwürfen vor 71 Jahren erst in die Welt gebracht.

Auch Japan muss sich bei seinen Nachbarn entschuldigen

Obama sollte sich in Hiroshima dieser historischen Schuld stellen, am Ende seiner Amtszeit hat der Friedensnobelpreisträger - wir erinnern uns schwach - ohnehin nichts mehr zu verlieren. Gewinnen aber würde er Anerkennung, denn eine Entschuldigung kann sehr wohl auch ein Zeichen der Stärke sein. Gleiches gilt übrigens auch für den japanischen Premier, der sich ebenfalls zu keiner Entschuldigung gegenüber den Nachbarstaaten für die Kaiserlichen Kriegsverbrechen durchringen kann. Ein Schuldeingeständnis aber wäre die Voraussetzung für eine Entschuldigung - und ohne die ist eine echte Aussöhnung mit den Nachbarn in Korea und China nicht möglich.

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DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund