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Für den Kreml ist der Westen irgendwie immer schuld

Rescheto Juri Kommentarbild App
Juri Rescheto
6. November 2015

Mehr als 24 Stunden hat Präsident Putin gebraucht, um auf Hinweise der Briten auf eine eventuelle Bombe an Bord der in Ägypten abgestürzten Passagiermaschine zu reagieren. Zu lange, meint Juri Rescheto.

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Trümmerteil von Flug 7K9268 (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/Alaa El Kassas

Wenn man in einem Land lange genug versucht, politisches Denken zu vernichten, wird irgendwann jeder Gedanke von alleine politisch. Eine Woche ist es her, als die russische Maschine der Fluglinie Kogylymavia über dem Sinai tragisch abstürzte. Aber noch immer wollen russische Behörden keine heiße Spur entdeckt haben. Lieber empören sie sich, dass andere, westliche Geheimdienste der Welt sagen: Wir haben bereits eine.

Keine Theorie wird bevorzugt, alles sei möglich, erst dem Ergebnis der offiziellen Untersuchung darf man Glauben schenken, das ist die offizielle Reaktion aus Moskau. Abwarten, nicht aufregen. Das machen die anderen schon, heißt die Hinhaltetaktik des Kreml. Und dann? Einen Tag lässt Moskau verstreichen, um dem britischen Beispiel zu folgen: Alle Flüge auf den Sinai zu stornieren und alle Landsleute aus Ägypten zurückzuholen. Warum nicht gleich? Die Antwort ist schlicht: Weil das der Westen tat. Und der ist doch böse.

Deutlich schneller war die Reaktion des russischen Außenministeriums auf die sich erhärtende Bombentheorie der Briten: Man sei schockiert darüber, dass der Westen den Russen wertvolle Geheimdienstinformationen verheimliche. Blöd nur, dass der Westen eine halbe Stunde später ganz anders handelte: Der britische Premier Cameron rief Russlands Präsident Putin persönlich an.

Juri Rescheto (Foto: DW)
Juri Rescheto

Russische Medien tönten ...

... fast unisono: Der Westen wolle die russische Syrien-Politik diskreditieren, Russlands Bomben gegen den IS schlechtreden und verbreite deswegen die These: Der IS räche sich mit diesem Anschlag an den Russen. Die rationale Entscheidung der Briten, ihre Bürger in Sicherheit zu bringen, selbst wenn dabei der eine oder andere Urlaub früher zu Ende geht, wurde in Russland als politische Geste gegen Moskau gedeutet. “Eine gewisse Komponente des psychologischen Drucks” will der Vorsitzende des Internationalen Ausschusses des Russischen Föderationsrats, Konstantin Kosatschev, darin entdeckt haben. Bitte? Die Briten geben jede Menge Geld aus, wollen ihre 10.000 Bürger evakuieren, um die Politik von Wladimir Putin - wenn auch nur mit einer “gewissen Komponente” - zu kritisieren?

Ja, es ist absolut richtig, nicht den Schnellschüssen der selbsternannten Experten hinterher zu rennen und jede mögliche und unmögliche Theorie in die Welt zu posaunen. Es spricht nichts gegen den klaren, kühlen Kopf, den man dabei bewahrt. Aber warum braucht der russische Präsident Tage, um öffentlich den Hinterbliebenen persönlich zu kondolieren? Warum greifen die russischen Diplomaten lieber den Westen an, der nur seine Erkenntnisse mit der Welt teilen will, als die Erkenntnisse selbst in eigenen Ermittlungen aufzugreifen? Warum immer dieses “der Westen will uns was Böses” und ist dann irgendwie doch immer schuld?

Die Strände auf dem Sinai waren mal wohl die unpolitischste russischsprachige Gegend der Welt. Das könnte vorbei sein, sollte sich die Bombentheorie bewahrheiten. Dann dürften aber auch die russischen Behörden und ihre staatstreuen Medien mit ihrem Westen-Hass blöd aussehen. Oder aber - der Welt eine andere, eigene Version präsentieren.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga