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Europas gefährlicher Pakt mit der Türkei

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
19. März 2016

Die EU hat erreicht, was kaum noch greifbar schien: Eine Lösung für die Flüchtlingskrise. Den Pakt mit der Türkei hatte Angela Merkel als letzten Ausweg eingefädelt. Aber der Preis ist hoch, meint Barbara Wesel.

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Recep Tayyip Erdogan (Foto: picture alliance/AA/E. Aydin)
Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede im JanuarBild: picture alliance/AA/E. Aydin

Die Vereinbarung mit Ankara ist eine Art politischer Erfolg für die Bundeskanzlerin. Sie schafft ihr innenpolitischen Spielraum und eint gleichzeitig die EU. Ihre Zustimmungswerte in den Umfragen sind bereits wieder gestiegen und sie kann Angriffe von Rechts mit dem Hinweis abwehren, dass der Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland effektiv gestoppt ist. Darüber hinaus wird sie in der EU an Ansehen zurückgewinnen, weil sie die Einigkeit der Union retten konnte.

Hoher Preis

Aber welchen Preis zahlt Europa für diesen Handel mit Menschenleben! Die Verantwortung für den Schutz einer Mehrheit von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten wird einfach an die Türkei übertragen. Das ist politisches "Outsourcing" der übelsten Sorte. Auf dem Papier wird sich Präsident Erdogan dazu verpflichten, seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen und die Rechte der Flüchtlinge entsprechend der Genfer Konvention anzuerkennen. Aber seit wann hält der Autokrat in Ankara seine Versprechen?

Die EU aber wird keinen politischen Hebel mehr gegen ihn haben, sollte er anfangen, Menschen nach Syrien oder in den Irak zurück zu schieben, auch wenn das explizit verboten ist. Das Gleiche gilt, wenn er sie einfach in den Straßen von Izmir oder Istanbul betteln und hungern lässt. Sobald die Visa-Liberalisierung – dringendster Wunsch der Türken – einmal gewährt ist, werden die Europäer in diesem Drama zu reinen Zuschauern.

Barbara Wesel (Foto: DW)
Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in Brüssel

Ist das die neue Über-Realpolitik?

Sie können die türkische Regierung dann vielleicht noch kritisieren, sie an die geschlossene Vereinbarung erinnern – aber Sultan Erdogan kann sich darüber grinsend hinwegsetzen. So wie er alle Ermahnungen in den Wind schlägt, er möge doch die Pressefreiheit und die Rechte der Opposition achten oder mit den Kurden wieder Friedensgespräche aufnehmen.

Europa gibt seine Zuständigkeit für die fundamentalen Rechte von Flüchtlingen an die Türkei ab. Und das wird Glaubwürdigkeit und internationales Ansehen kosten. Wie kann die EU künftig die Autokraten und Diktatoren dieser Welt an Menschenrechte oder demokratische Werte erinnern, wenn sie selbst ein so jämmerliches Bild bietet und sich so angreifbar macht?

Die Europäische Union wird zwei ihrer kostbarsten politischen Güter verlieren: Soft power und Glaubwürdigkeit. Und der Grund für dieses jämmerliche Spektakel ist die Unfähigkeit, nationale Egoismen zu überwinden und die Angst vor der populistischen Rechten. Wenn das die neue Über-Realpolitik ist, die in der Not auch einen Pakt mit dem Teufel nicht scheut, dann ist sie eine Kraft, die zerstört was sie erhalten soll.

Auftrag erfüllt?

Präsident Erdogan gewinnt bei diesem Deal politische Anerkennung für seinen anti-demokratischen Kurs. Er führt sein Land immer weiter von Europa weg, und kann sich dennoch über die Vorspiegelung wieder aufgenommener Erweiterungsverhandlungen freuen. Seine Talfahrt hin zu einer voll ausgebildeten Diktatur wird kaum noch zu stoppen sein – jedenfalls nicht von Seiten der EU.

Europa wiederum verwandelt sich in eine Festung, die für viele Flüchtlinge unerreichbar wird. Manche werden sagen, dass damit der Auftrag der EU-Regierungschefs erfüllt ist. Andere werden den Verlust von Menschlichkeit und fundamentalen Rechten beklagen. Abgesehen von den praktischen Problemen bei der Umsetzung dieser Vereinbarung und ihrer rechtlichen Angreifbarkeit: Künftige Bilder von syrischen Flüchtlingen, die im Grenzgebiet zur Türkei hängen bleiben, oder von Irakern und Afghanen, die dort vergebens Schutz suchen, werden uns noch verfolgen. Die Kritik von Menschenrechtsorganisationen bleibt bestehen: Dieser Pakt ist gefährlich, illegal und unmenschlich.

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