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Europa, wirf ideologischen Ballast ab!

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
9. September 2016

Die Mittelmeerländer fordern Wachstum, Investitionen und einen Schuldenerlass. Wer wollte da widersprechen? Doch leider sind die Regierungschefs in Südeuropa schlechte Anwälte ihrer Anliegen, meint Barbara Wesel.

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Griechenland Grexit EU Schuldenkrise (Bild: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Baltagiannis

Man muss es dem griechischem Premier Alexis Tsipras und seinen Mitstreitern im neu formierten "Club Med" zugute halten: Sie haben jede aufrührerische Sprache vermieden. Reizbegriffe wie "Austeritätspolitik" und "Aufweichung des Stabilitätspaktes" kommen nicht vor.

Damit wollen vor allem die Sozialisten vermeiden, dass gleich wieder die alten ideologischen Schlachtlinien aufgebaut werden: Sparmeister gegen Verschwender, ordentliche Haushaltsführung gegen Budget-Schlamperei.

Bloß keine Provokationen

Der Linke aus Athen, die Sozialisten aus Rom, Paris und Lissabon und sogar die konservative spanische Übergangsregierung konnten sich auf ein paar ziemlich vernünftige Grundsätze einigen. Und sie kommen quasi mit einem Ölzweig nach Brüssel, so samtig formulieren sie ihre Wünsche.

Die neuen Visionen für Europa müssten auf konkrete Maßnahmen fußen, so heißt es, denn die Bürger wollten Taten statt Worte sehen. Wer wollte da widersprechen? Außerdem brauche die EU mehr Wachstum und Investitionen, um die Wirtschaftskrise zu überwinden, unter deren Folgen die Mitglieder im Süden mehr leiden als der Norden.

Auch die Ideen zum Umgang mit der Flüchtlingskrise müssten eigentlich konsensfähig sein: Eine faire Neuformulierung der "Dublin"-Regeln und Lastenverteilung, mehr gemeinsame Grenzsicherung, eine Angleichung der Asylsysteme und so weiter.

Dagegen hat allerdings die osteuropäische Visegrad-Gruppe bereits ihre eigenen knallharten Grundsätze zur Abwehr von weiterer Migration vorgelegt. Da fahren bei den nächsten Verhandlungen wieder einmal zwei Züge aufeinander zu.

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Europa-Korrespondentin Barbara Wesel

Der Norden sollte Kompromisse machen

Was die wirtschaftspolitischen Wünsche des Südens angeht, sollte der Norden endlich Kompromisse machen: Der Zwang zu Reformen und zur Haushaltssanierung ist zwar prinzipiell und pädagogisch richtig. Nur haben wir inzwischen in Europa keine Zeit mehr für ideologische Reinheit: Dem Aufstieg der Rechtspopulisten, der auf Abstiegsängsten und wirtschaftlicher Not in abgehängten Regionen basiert, muss so schnell wie möglich etwas entgegengesetzt werden.

Die EU braucht neue Förderprogramme, um Gebieten zu helfen, die von der Globalisierungswalze überrollt wurden. Da geht es um Infrastruktur, Internet und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Notfalls durch den Staat, wenn es nicht anders geht. Und eine Schande ist der verschleppte Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Er muss in ganz Südeuropa zur Priorität werden.

Wenn sie bloß besser regieren würden….

Für den Norden bedeutet dies, dass er sich auf mehr Flexibilität beim Schuldenmachen einlassen muss. Nicht zu viel, das ist klar, das Prinzip der soliden Haushaltsführung ist weiter wichtig. Aber man muss dem Süden mehr Luft geben, um sich an den eigenen Haaren aus dem Krisensumpf zu ziehen. Gerade Deutschland, das wieder einmal Export-Weltmeister wurde, muss sich vorwerfen lassen, die Ungleichgewichte in Europa mitzuverantworten.

Das Drama ist nur, dass die Regierungschefs im Club Med so schlechte Anwälte ihrer eigenen Sache sind. Alexis Tsipras ist seit eineinhalb Jahren im Amt, ohne bisher etwas Greifbares geschaffen zu haben. Francois Hollande hat fast fünf Jahre Präsidentschaft verschwendet und die nötigen Reformen versäumt. Nur Matteo Renzi führt noch seinen Kampf gegen die Beharrungskraft des italienischen Chaos. Angesichts dessen muss man im Norden Europas, vor allem in Berlin, jetzt die Augen zukneifen und auf das Prinzip Hoffnung setzen.