1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ohne ein neues "Dublin" geht es nicht

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
27. Juli 2017

Das europäische Asylsystem braucht neben klaren Regeln auch die Pflicht zur Umverteilung von Asylbewerbern nach fest vereinbarten Quoten. Sonst wird es schon bald scheitern, meint Bernd Riegert.

https://p.dw.com/p/2hFYJ
Flüchtlinge Karte mit Flüchtlingsroute nach Österreich
Fluchtkarte 2015: Erst Einreise über Griechenland, durchgewunken bis nach SlowenienBild: picture-alliance/Joker/M. Fejer

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes von diesem Mittwoch zum europäischen Asylsystem hat nicht viel Neues gebracht. Das Gericht hat lediglich bestätigt, dass die Regel, dass der EU-Staat der ersten Einreise für einen Asylbewerber zuständig ist, weiterhin gilt und auch in den besonderen Krisenjahren 2015 und 2016 gegolten hat. Ein nachträgliches Zurückschieben von Asylbewerbern, die damals in Schweden, Deutschland, Österreich, Ungarn, Kroatien oder Slowenien ankamen, ist aber nicht möglich.

Der Effekt des Urteils ist vor allem, dass in der EU eine Debatte über die Asylverfahren und das Regelwerk, das in der Dublin-III-Verordnung festgelegt ist, begonnen hat. Diese Debatte ist dringend nötig, denn seit der Flüchtlingskrise 2015, die die EU nur mit Mühe unter Kontrolle bekommen hat, ist nicht wirklich viel passiert. Obwohl viele Staaten 2015 zugestanden, dass "Dublin" bei einem massenhaften Zuzug nicht funktioniert, haben sich die EU-Mitglieder nicht auf eine Reform des Systems verständigen können. Dabei ist die nächste Krise längst absehbar.

Dublin war kurz tot, jetzt lebt es wieder

Italien, das nach der Dublin-III-Regel für alle Asylbewerber zuständig ist, die aus Libyen über das Mittelmeer kommen, läuft voll. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Italien auf die Dublin-III-Regel pfeifen wird, und die Menschen einfach nach Österreich, Slowenien, Frankreich oder die Schweiz weiterziehen lassen wird. Genau so hat Ungarn im Juni 2015 auf die Asylbewerberwelle reagiert, die damals über Griechenland kam. Der ungarische Innenminister erklärte damals, Ungarn sei überlastet und eigentlich auch nicht zuständig. Es wurden die Menschen nach Österreich und vor dort nach Deutschland durchgewunken.

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europakorrespondent Bernd Riegert

Griechenland war schon länger aus dem Dublin-III-System herausgefallen, weil seine Asylverfahren menschenunwürdig waren, wie europäische Gerichte festgestellt hatten. In der Folge erklärte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel "Dublin" für dysfunktional. Das wurde als Einladung verstanden, alle Asylbewerber nach Deutschland weiterziehen zu lassen. Erst als die EU-Staaten erkannten, welches Chaos ohne "Dublin"-Regel entstand, wurde diese mit Mühe wieder in Kraft gesetzt. Kanzlerin Merkel und Ungarns Premier Orbán waren sich einig: "Dublin gilt doch". Aber erst als mit Hilfe der Türkei die Balkanroute nachhaltig geschlossen wurde, konnte das europäische Recht auch wieder wirklich angewendet werden.

Ohne Handeln ist die nächste Krise gewiss

Heute sind die beiden letzten "Frontstaaten" Griechenland und Italien, die noch über den Seeweg von Asylbewerbern erreicht werden können, für die allermeisten Fälle zuständig. Alle übrigen Außengrenzen zu Lande oder an Flughäfen der EU sind inzwischen dichtgemacht. Um die beiden Staaten am Südrand der EU zu entlasten und um für neue Krisen gerüstet zu sein, beschlossen die EU-Staaten bereits im September 2015 einen Verteilungsschlüssel, nach dem Asylbewerber aus Griechenland, Italien, und damals auch noch Ungarn, auf die restlichen Staaten verteilt werden sollten. Dieser Beschluss ist aber nie wirklich umgesetzt worden.

Es gilt wieder die alte Dublin-III-Regel über die Erstzuständigkeit, aber ohne ein dahinter liegendes, ausreichendes System zur Verteilung der Lasten. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis dieses System wieder an seine Grenzen stoßen und ins Chaos abgleiten wird. Der Europäische Gerichtshof bescheinigt den Mitgliedsstaaten, auch Ungarn, Polen, der Slowakei und Tschechien, dass es in der Asylfrage eine Pflicht zur Solidarität und damit zur Aufnahme von Menschen gibt, die in den Staaten an der Außengrenze der EU angekommen. Klagen Ungarns und der Slowakei gegen diese Beschlüsse sind zu verwerfen. Diese Pflicht zur Solidarität und Umverteilung gehört dazu, denn sonst funktioniert das gesamte Dublin-III-System auf Dauer nicht.

Abriegeln schützt vor Solidarität

Im Herbst will die EU-Kommission eine Reform des schwer unter Druck stehenden Regelwerks vorschlagen. Die Umverteilung von Flüchtlingen nach Quoten soll zumindest in Krisenfällen zur Pflicht werden. Die Aufgabe der EU-Mitgliedsstaaten wäre es, diese Pflicht endlich anzuerkennen. Bislang haben sie sich auf eine Stärkung der Außengrenzen und eine Abschottung konzentriert. Legale Einreisen für Asylbewerber werden so fast unmöglich. Wenn, wie geplant, auch die zentrale Mittelmeerroute geschlossen werden kann, ist der letzte Zugang mehr oder weniger dicht. Das ist das erklärte Ziel der EU-Einwanderungspolitik - da muss man sich nichts vormachen. Die Logik hinter der Abschottung ist ebenfalls ganz klar: Ohne neue Asylbewerber braucht auch niemand mehr umverteilt zu werden. Solidarität der EU-Staaten untereinander wäre dann so nicht mehr nötig.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union