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Eine gerechte Energiewende ist möglich!

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Richard A. Fuchs
15. Oktober 2016

Ökostrom wird teurer. Mit Verve wird über Sinn und Unsinn der Energiewende gestritten - auch über hohe Kosten für Geringverdiener. Statt das Projekt zu beerdigen, sollten die Regeln gerechter werden, meint Richard Fuchs.

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Deutschland Windkraft Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

"Strompreise geraten außer Kontrolle": Es sind Schlagzeilen wie diese, die regelmäßig Mitte Oktober in Deutschland für einen Sturm der Entrüstung sorgen. Der Grund: Immer dann werden die neuesten Zahlen veröffentlicht, wieviel Geld deutsche Verbraucher in Form einer Umlage bezahlen müssen, um den Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken zu finanzieren. In den zurückliegenden Jahren kannte dieser Aufschlag auf den Strompreis nur eine Richtung: steil nach oben. Und er steigt weiter, wie die Netzbetreiber am Freitag verkündeten. Eine Durchschnittsfamilie zahlt so rund 300 Euro im Jahr zusätzlich, um den Strom klimafreundlicher zu machen. Das summiert sich auf rund 22 Milliarden Euro jährlich. Astronomische Summen, sagen Kritiker und halten das Projekt Energiewende deshalb für einen teuren Irrweg. Eine Luftnummer, die zudem keinen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leiste, aber die deutsche Industrie im weltweiten Wettbewerb zurückwerfe und besonders Geringverdiener über Gebühr belaste. Ist die deutsche Energiewende also gescheitert, taugt nicht als Vorbild für Schwellen- und Entwicklungsländer?

Stromkunden müssen keine Industriepolitik machen  

Mitnichten! Denn wer hinter die alarmierenden Schlagzeilen schaut, der sieht: hohe Mehrausgaben für Wind- und Sonnenkraftwerke sind hausgemacht, weil die Spielregeln nicht stimmen. Die Energiewende ist teuer und ungerecht, weil sie handwerklich nicht gut gemacht ist. Ein einfaches Beispiel zeigt das: Private Stromkunden bezahlen immer mehr für Strom, je günstiger Wind- und Sonnenstrom werden. Das ist paradox und darf eigentlich so nicht sein. Und dennoch beschreibt es genau den Stand der Dinge, wie Deutschland seine Energiewende bislang organisiert. Das sorgt für Missmut - zu Recht. Die erneuerbaren Energien dafür zu rügen, dass sie den Strompreis an der Börse in Leipzig um 40 Prozent gesenkt haben, klingt abenteuerlich. Deshalb gilt: Der Fehler liegt im System - und dieses System gehört reformiert!    

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Richard Fuchs, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Das Ziel ist dabei klar: Der Strompreis muss runter. Alle notwendigen Reformvorschläge liegen auf dem Tisch. Darunter fällt, dass mehr Stromkunden ihren fairen Anteil an den Kosten bezahlen. Hier gibt es große Gerechtigkeitslücken. Derzeit finanzieren nämliche kleine Betriebe und Privatverbraucher Privilegien und Rabatte für große Industriekunden. Zwei Drittel aller Stromkunden schultern 100 Prozent der Mehrkosten. Das ist nicht gerecht - und das merkt man! Ausgenommen sind rund 2000 stromintensive Unternehmen, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Das mag industriepolitisch sinnvoll sein, was aber nicht heißen muss, dass die anderen Stromkunden dies alleine finanzieren.

Um fünf Milliarden Euro könnte die Stromrechnung der Nation fallen, wenn diese Industriepolitik dort finanziert würde, wo sie verantwortet wird: im Bundeshaushalt. Dann zahlten Reiche nämlich mehr als Arme, abhängig von ihrer Steuerlast. Das wäre auch gerecht insofern, weil die Stromrechnung zwischen Armen und Reichen ansonsten gar keine so großen Unterschiede aufweist. Und ließe der Staat dann noch die ökologisch unsinnig gewordene Stromsteuer wegfallen, könnte der Strompreis noch weiter fallen. Das wäre eine sinnvolle Erleichterung.

Alle Energieträger müssen die Energiewende finanzieren

Ein Ersatz für die wegfallenden Einnahmen könnte gefunden werden. Doch dieser Ersatz müsste das Energiesystem als Ganzes im Blick haben. Auch das geht! So sollten nicht Ökostrom Ökostrom finanzieren, sondern alle Energieträger gleichermaßen sollten zur Finanzierung des Umbaus herangezogen werden. Aus Ökostromumlage würde so ein Energiewende-Beitrag. Der könnte pro Einheit viel geringer ausfallen. So würden dann Heizöl, Benzin, Diesel und Erdgas wie erneuerbare Energien auch ein Cent pro Energieeinheit zur Förderung der Energiewende beitragen. Das wäre fair, würde niemand überbelasten und hätte weitere Vorteile.

Der Strompreis für Endkunden würde abrupt sinken, ein begrüßenswerter Effekt. Bei Autos und im Heizungskeller würde diese moderate Mehrbelastung angesichts niedriger Ölpreise kaum ins Gewicht fallen. Und dennoch würden Milliarden-Beträge für den Umbau des Energiesystems eingesammelt, nur eben deutlich sinnvoller und zielgerichteter als heute. Das wäre echter Klimaschutz - und mit Augenmaß, was den Geldbeutel angeht. Klimafreundliche Technologien könnten schrittweise den Heizungskeller erobern, weil sie keinen unfairen Wettbewerb mehr gegen Heizöl und Gas mehr bestehen müssen. Auch Elektro- und Hybridautos bräuchten keine unsinnigen Kaufprämien mehr, sondern könnten sich Marktanteile erobern, weil Benzin und Dieselfahrzeuge den Umstieg mitfinanzierten. Experten nennen so etwas "ökologische Lenkungswirkung". Man könnte es aber auch schlicht als ein sinnvolles Gesamtkonzept bezeichnen. 

Fazit: Deutschland braucht eine Putzkolonne, um das Regelwerk der Energiewende zu entrümpeln und neu zu sortieren. Je schneller dieser Hausputz vonstatten geht, desto schneller wird die Energiewende auch wieder das, was sie eigentlich sein sollte: ein internationales Vorzeigeprojekt.

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