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Politik

Ein Sommer der Ungewissheit

Maaß Birgit Kommentarbild App
Birgit Maaß
29. Juli 2017

Das britische Parlament ist in der Sommerpause und die Brexit-Verhandlungen ruhen. Währenddessen sind Briten wie EU-Bürger völlig verwirrt. Premierministerin Theresa May muss endlich Klarheit schaffen, meint Birgit Maaß.

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Belgien - May auf dem EU Gipfel in Brüssel
Bild: Reuters/F. Lenoir

Wie gut muss sich das in dieser Woche für Theresa May angefühlt haben: Herausfahren aus der Downing Street und ganz schnell haben sich die eisernen Tore hinter ihrem Wagen geschlossen. In Gedanken war sie sicher schon in den drei Wochen Sommerurlaub, die vor ihr liegen: Wandern in den Alpen, frische Bergluft.

Sie wird versuchen, alles zu vergessen: die harte Niederlage bei den Unterhauswahlen, die sie in eine Koalitionsregierung gezwungen hat. Ihre Partei, die in der Europafrage wie eh und je tief zerstritten ist. Die Gipfeltreffen in Brüssel, bei denen sie nach dem Essen den Saal verlassen muss, damit die anderen Staats- und Regierungschefs ohne sie verhandeln können.

Die Regierung führt nicht

Leider wird sich keines ihrer Probleme über den Sommer von alleine lösen. Die Premierministerin lässt ein Land hinter sich, das seinen Kurs verloren hat. "Modell Norwegen", "Kanada Plus", inner- oder außerhalb der  EU-Zollunion - die Vorschläge zu Großbritanniens Zukunft fliegen durch die Luft wie Jonglierbälle auf einem Jahrmarkt. Und da die Regierung nicht wirklich führt, sind die Menschen nur noch verwirrt.

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Birgit Maaß ist DW-Korrespondentin in London

So hängen zum Beispiel wir als EU-Ausländer, die in Großbritannien leben, mit unseren Lebensplänen völlig in der Luft. Wir wissen nicht, ob die Regierung die EU-Austrittsverhandlungen ordentlich abschließen will. Wenn Theresa May immer wieder betont, dass "kein Ergebnis besser ist, als ein schlechtes Ergebnis", dann hat das für uns einen drohenden Unterton: Denn nur, wenn es am Ende ein Ergebnis gibt, ist unser Aufenthaltsstatus gesichert. Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist, da weder die britische Regierung noch die EU uns die Sicherheit geben, dass wir bleiben können, wo wir gegenwärtig leben. So entsteht Zukunftsangst.

"Wer geht?" ist eine der ersten Fragen, wenn ich mich mit meinen Freunden treffe. Und ja - schon viele haben völlig neue Lebenspläne gemacht. Die beste Freundin meiner Tochter kehrt nach Irland zurück. Ihre Eltern - beide hochqualifizierte Ärzte - wollen Sicherheit für die Zukunft ihrer Kinder. Eine schwedische Freundin geht zurück nach Stockholm und nimmt ihren Partner mit, obwohl sie gerade erst gemeinsam eine Wohnung gekauft haben. Deutsche Nachbarn ziehen aus, während ich diesen Text schreibe, und wechseln nach Berlin. Sie alle wollen nicht auf irgendwelche Entscheidungen in Brüssel warten. Sie haben genug davon, sich wie Bauern in einem Schachspiel zu fühlen und dabei zu wissen, dass kein Großmeister am Brett sitzt.

Wer nicht geht, will Brite werden

Andere bleiben, unterziehen sich der mühsamen Prozedur für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, vielleicht sogar der britischen Staatsbürgerschaft, meist mit zusammengebissenen Zähnen. Denn in diesem gesellschaftlichen Klima ist es kein Vergnügen, britischer Bürger werden zu wollen. Doch für alle, für die Gehen keine Option ist, ist das eindeutig die beste Lösung.

Unterdessen sind viele Abgeordnete auf Tour in ihren Wahlkreisen gegangen, um sich auf mögliche Neuwahlen im Herbst vorzubereiten. Gegner der Premierministerin haben sich nach dem miserablen Abschneiden bei den Wahlen im Juni angeblich verschworen, um sie zu stürzen.

Klare Aufgaben für Theresa May

Wenn also Theresa May vom Kontinent zurückkommt, sind ihre Aufgaben klar umrissen: sich verteidigen gegen die Opposition in den eigenen Reihen, Konzentration auf die gigantische Aufgabe der Austrittsverhandlungen in Brüssel und zugleich noch ein zutiefst gespaltenes Land regieren. Verunsicherte EU-Bürger zu beruhigen, wird weiterhin wohl nicht ganz oben auf ihrer Agenda stehen.

Bleibt zu hoffen, dass der Weitblick, den man von den Gipfeln der Alpen hat, ihr hilft, eine klare Vision zu entwickeln. Denn wir alle - ob wir nun EU-Bürger sind oder nicht - müssen endlich wissen, in welche Richtung Großbritannien gehen will.

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