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Makel bleibt

Marcel Fürstenau30. März 2007

Außenminister Steinmeier hat sein Vorgehen im Fall des Guantanamo-Häftlings Kurnaz verteidigt. Trotz seiner überzeugenden Vorstellung vor dem Ausschuss bleiben Fragen nach der moralischen Bewertung des Falles bestehen.

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Frank-Walter Steinmeier muss sich keine Sorgen mehr machen. Sorgen darum, ob die Affäre um den ehemaligen Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz politische Folgen für ihn haben könnte. Mit seiner Erklärung vor dem Geheimdienst-Untersuchungsauschuss ist es dem Außenminister glaubwürdig gelungen darzulegen, in welch schwieriger und komplexer Entscheidungslage er sich befand, als es um das Schicksal des aus Bremen stammenden Türken ging, aber eben auch um die Sicherheit der deutschen Bevölkerung. Die monströsen Attentate vom 11. September 2001 in den USA waren erst ein Jahr vergangen. Es war die Zeit, als die Vereinten Nationen und die NATO unter deutscher Beteiligung sich anschickten, das Taliban-Regime in Afghanistan zu beseitigen.

Moralische Instanz des Westens?

In einem solchen Umfeld war Deutschland potenzielles Ziel hasserfüllter Terroristen. Eine Gefahr, die nach wie vor besteht, wenn man etwa an die im Irak entführten Deutschen und die jüngst im Internet verbreiteten Droh-Videos denkt. Gefahren abzuwehren war und ist die Pflicht verantwortlicher Politiker wie Steinmeier, der als Kanzleramtsminister in der rot-grünen Regierung für die Geheimdienste zuständig war. Weil die Regierung Schröder mit ihrem entschiedenen Nein zum Irak-Krieg in den Augen vieler als die moralische Instanz des Westens galt, war die Empörung verständlicherweise groß, als ruchbar wurde, dieselbe Regierung könnte den Amerikanern behilflich gewesen sein, Unschuldige in das völkerrechtswidrige Gefangenenlager Guantanamo zu verschleppen.

Und dieser Vorwurf ist es, der im Fall Kurnaz dem deutschen Außenminister gemacht wird, weil er in seiner früheren Funktion eine angeblich mögliche Rückkehr von Kurnaz verhindert haben soll. Dass er sich dabei auf das Urteil der Geheimdienst-Präsidenten verließ, kann Steinmeier nicht vorgeworfen werden.

Unverständliches Zögern

Allerdings muss Steinmeier sich selbstkritisch fragen, warum er so lange damit gewartet hat, seine Sicht der Dinge darzustellen. Dass hätte er im eigenen Interesse und im Interesse der deutschen Außenpolitik sofort tun müssen, als die Vorwürfe durch Medien-Berichte bekannt geworden waren. Sein und anderer Politiker langes Schweigen musste zwangsläufig zu Spekulationen bis hin zu Verschwörungstheorien führen, Steinmeier, sein Vorgänger Joschka Fischer und der frühere Innenminister Otto Schily hätten Dreck am Stecken. Mit ihrem Zögern haben sie es der Opposition leicht gemacht.

Und dabei sollte nicht vergessen werden, dass manche Forderung, manche Kritik berechtigt ist. Etwa das völlig überzogene Vorenthalten von Akten, deren oft unspektakulärer Inhalt durch Presse-Veröffentlichungen längst bekannt ist. Was haben die dann wirklich zu verbergen? Diese Frage drängt sich automatisch auf.

Ein merkwürdiges Bemühen

Ein Makel wird so oder so haften bleiben: Dass die frühere rot-grüne Regierung und mit ihr der heutige Außenminister Steinmeier mitunter ziemlich bürokratisch und kaltherzig gehandelt haben. Warum das angebliche Sicherheitsrisiko Murat Kurnaz jahrelang unter allen Umständen von Deutschland fern gehalten werden sollte, 2006 auf Initiative der inzwischen amtierenden Schröder-Nachfolgerin Angela Merkel aber doch zurückkehren durfte, bleibt schleierhaft. Steinmeiers Begründung: aus humanitären Gründen, klingt konstruiert. Denn dieselben humanitären Erwägungen hätte es auch schon Ende 2002 geben müssen. Der wahre, nämlich menschenverachtende Charakter des US-Folterlagers Guantanamo war damals längst weltweit bekannt.

Ein Ausweg hätte darin bestehen können, Kurnaz nach Deutschland zu holen, um ihn hier gegebenenfalls mit den Mitteln des Rechtsstaats zu belangen, wenn die ihm gemachten Vorwürfe stichhaltig gewesen wären. Stattdessen bemühte sich auch Steinmeier lediglich darum, Kurnaz in die Türkei zu entlassen. Ein merkwürdiges Bemühen eingedenk der Tatsache, dass er von deutschen Sicherheitsdiensten selbst nach seiner Freilassung, also heute noch, als Sicherheitsrisiko bezeichnet wird.