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Dreifach symbolischer Triumph der Taliban

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Florian Weigand
28. September 2015

Mit der Offensive auf die Stadt Kundus wollen die Taliban eine Botschaft senden. An die afghanische Regierung, an ehemalige Mitkämpfer, die sich dem IS angeschlossen haben. Und auch an Europa, meint Florian Weigand.

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Taliban Offensive bei Kundus (Foto: AP)
Bild: picture alliance/AP Photo

Es ist noch keine zwei Jahre her, als die Bundeswehr Kundus an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben hat. Nun hissen die Taliban ihre Flagge am Zentralplatz der nordafghanischen Stadt. Ein Bild, dass an Symbolkraft kaum zu überbieten ist: Es zeigt das Scheitern des Westens am Hindukusch. Denn Kundus war das Vorzeigeprojekt der deutschen Entwicklungshilfe unter dem Schutzschirm der Soldaten. Nun triumphieren wieder die Taliban.

Ein Signal ist es auch an die afghanische Regierung: Es ist das erste Mal seit dem Fall des Taliban-Regimes in der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001, dass sie eine Provinzhauptstadt besetzen können. Und es ist ein weiteres deutliches Zeichen an Ex-Taliban, die nun - vor allem an der pakistanischen Grenze - unter IS-Flagge kämpfen: Seht, wir sind noch da und spielen noch nicht die zweite Geige im Konzert der islamischen Terrororganisationen - allem IS-Hype zum Trotz.

Florian Weigand, Leiter der DW-Afghanistan-Redaktion
Florian Weigand leitet die Afghanistan-Redaktion der DW

Diese dreifache Symbolik ist kühl kalkuliert. Denn die Taliban können nicht ernsthaft hoffen, die Stadt langfristig zu halten. Zu wichtig ist Kundus auch wirtschaftlich. Die Stadt liegt an der einzigen für den Schwerlastverkehr befahrbaren Straße durch Afghanistan, die das Land mit Zentralasien und den Häfen Pakistans verbindet. Kabul wird alles tun, die Stadt wieder zurück zu erobern. Welche Hilfe der Westen dafür im Hintergrund leisten wird, bleibt zunächst sicher noch verborgen.

Auch Europa ist gefordert

Die beabsichtigte Wirkung geht in eine andere Richtung. Der neue Taliban-Führer Mullah Mansoor muss zeigen, dass er in die Fußstapfen seines legendären Vorgängers Mullah Omar passt. Sonst verliert er jede Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig muss er auch gegenüber Kabul demonstrieren, dass mit ihm zu rechnen ist - als ernst zu nehmender Partner für Friedensverhandlungen. Denn entgegen aller martialischen Rhetorik - an diesen kommen auch die Taliban nicht vorbei, wenn sie langfristig eine Rolle spielen wollen in einem Krieg, den keine der Seiten allein gewinnen kann.

Was so eine Zukunft mit Taliban-Beteiligung für die Menschen bedeutet, die 13 Jahre relativen Friedens in der Ära des westlichen Engagements erlebt und sich in dieser sozialen Umgebung sozialisiert haben, kann man an den steigenden Zahlen der afghanischen Flüchtlingen ablesen, die an Europas Grenzen Einlass begehren. Möglicherweise entfaltet das Bild der Taliban-Flagge im Zentrum von Kundus eine weitere - von den Taliban sicher unbeabsichtigte Symbolkraft. Das Bild fordert die Regierungen in Europa heraus, den Afghanen möglicherweise einen ähnlichen Status einräumen zu müssen wie den Syrern und Irakern. Eine gewaltige Herausforderung vor allem für Deutschland, von jeher der Sehnsuchtsort der Afghanen.

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