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Die unerträgliche Wahrheit von Srebrenica

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Benjamin Pargan
11. Juli 2015

Vor genau 20 Jahren wurde das schlimmste Kriegsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg verübt. Noch immer werden die Opfer des Völkermordes von Srebrenica verhöhnt und politisch instrumentalisiert, meint Benjamin Pargan.

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Bosnien und Herzegowina Stadtansicht Srebrenica
Bild: DW/M. Sekulic

Auch der 20. Jahrestag des Völkermordes von Srebrenica wurde von zynischen Spielchen auf der großen Bühne der sogenannten internationalen Gemeinschaft überschattet. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhinderte Russland mit seinem Veto eine Resolution, weil darin der grausame Massenmord an mehr als 8000 Jungen und Männern von Srebrenica als Völkermord gewertet wurde. Die heuchlerischen Erklärungsversuche des russischen UN-Botschafters reihen sich perfekt in die bis heute andauernde Verhöhnung der Opfer ein. Genauso wie die stolze Mitteilung des serbischen Präsidenten Tomislav Nikolic, dies sei ein "großer Tag für Serbien" und Russland habe sich als wahrer Freund seines Landes erwiesen.

Es war ein Völkermord

Beides ist an Zynismus nicht zu überbieten. Denn die eingebrachte Resolution wurde mehrfach abgeschwächt, um Russland, aber auch Serbien entgegen zu kommen. Trotzdem wurde sie abgelehnt. Russlands Veto war übrigens die einzige Gegenstimme und damit die amtlich bestätigte Leugnung von einem juristisch längst aufgearbeiteten Verbrechen. Denn bereits 2007 hat der Internationale Gerichtshof das Massaker von Srebrenica als von der politischen und militärischen Führung der bosnischen Serben genau geplanten und konsequent umgesetzten Genozid bezeichnet.

Trotzdem war Srebrenica nur der blutige Gipfel eines verbrecherischen Vernichtungskrieges in Bosnien-Herzegowina, den die damalige Führung der bosnischen Serben mit größter Überzeugung geführt hat. Mit derselben Überzeugung unterstützten die damaligen Belgrader Herrscher diesen Krieg. Militärisch, logistisch und politisch. Die vergangenen Tage beweisen, dass diese Seilschaft noch immer besteht. Nur ihr Hauptziel hat sich verschoben. Nun ist die kollektive Leugnung eines im Blutrausch begangenen und gut dokumentierten Verbrechens die wohl wichtigste Aufgabe. Damit wird eine ehrlich gemeinte Versöhnung zwischen Bosniaken und Serben aktiv behindert.

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DW-Redakteur Benjamin Pargan

Die muslimischen Bosniaken hatten die meisten Opfer des Krieges in Bosnien-Herzegowina zu beklagen, fühlen sich aber - nicht nur wegen Srebrenica - als moralische Sieger. Mit der beharrlichen Leugnung und Relativierung des Genozids wird ihnen dieser Sieg bewusst oder unbewusst abgesprochen. Viele Serben in Bosnien-Herzegowina und Serbien - auch diejenigen, die das barbarische Verbrechen von Srebrenica nicht leugnen - hadern mit der Bezeichnung "Völkermord", weil sie dahinter die Anerkennung einer Kollektivschuld vermuten. Sie empfinden Srebrenica als eine moralische Keule, die von den Bosniaken zu häufig benutzt und politisch instrumentalisiert werde. Selbst aus diesen moderaten Kreisen der serbischen Öffentlichkeit kommen häufig die Wünsche nach einem Schlussstrich und ungeduldige Rufe nach Vergebung.

Vergebung braucht die Bitte um Vergebung

Dabei wird allzu gerne ausgeblendet, dass in Ostbosnien noch immer neue Massengräber entdeckt werden. Noch gibt es Mütter, die ihre Söhne nicht begraben können, weil deren Leichen nicht gefunden wurden. Es ist blanker Hohn, wenn von diesen Müttern verlangt wird, dass sie den Mördern vergeben sollen. Wie und wem sollen sie denn vergeben, wenn Täter gar nicht um Vergebung bitten? Wenn serbische Jugendliche selbst in Srebrenica bei Schulfeiern alte Tschetnik-Lieder singen und Ratko Mladic feiern. Und wenn bei serbischen Hochzeiten mancherorts die Bilder von Ratko Mladic und Radovan Karadzic hochgehalten werden. Solche Leute wollen keine Vergebung und keine Versöhnung. Und die Wahrheit aus Srebrenica wollen und können sie nicht ertragen.

Auch deshalb bleibt das kleine Balkanland noch lange die lebendige Erinnerung an das schreckliche Versagen der internationalen Gemeinschaft. Es bleibt der zivilisatorische Tiefpunkt der jüngsten europäischen Geschichte und wird noch lange daran erinnern, wie zerbrechlich der Frieden in Europa sein kann. Auch wenn die russische Ablehnung der UN-Resolution eindrücklich beweist, dass einige daraus bisher gar nichts gelernt haben.