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Politik

Die Rückkehr des Faustrechts

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
23. Juli 2017

In Hamburg und Schorndorf attackierten überwiegend junge Menschen die Polizei. Sie taten das vor allem aus einem Grund, meint Kersten Knipp: Weil sie kaum Konsequenzen zu fürchten haben. Eine fatale Entwicklung.

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G20, Hamburg, Krawalle im Schanzenviertel
Bild: picture-alliance/N.Liponne

Die Überschaubarkeit der Provinz bietet bisweilen tiefe Einsichten. Darin unterscheidet sie sich von der Großstadt, Das konnte man unlängst an den Beispielen des Örtchens Schorndorf und der Weltstadt Hamburg sehen. In Hamburg, vor zwei Wochen beim G20-Gipfel, ließ sich zumindest mit etwas gutem Willen noch rätseln: Hat die Gewalt, zu der tausende Randalierer sich bekannten, zuletzt einen ethischen Kern? Waren die, die das Schanzenviertel kurz und klein schlugen, letztlich Helden des Widerstands, Freiheitskämpfer, die sich bitteren Herzens entschlossen, auf den Druck des Kapitals und das Elend der Welt mit dem letzten verfügbaren Mittel, nämlich physischer Gegengewalt, zu antworten?

Dass dem eher nicht so ist, legt die Randale im Städtchen Schorndorf anlässlich des dortigen Stadtfestes nahe. Unter denen, die dort Flaschen auf Polizisten warfen, war auch eine ganze Reihe Gymnasiasten - junge Menschen in gelöster alkoholisierter Stimmung und, so darf man vermuten, aus jenen mittelständischen Kreisen stammend, deren Zukunftschancen weiterhin nicht die schlechtesten sind. Gewalt geht ganz offenbar auch und vielleicht vor allem von jenen aus, denen es persönlich gut geht.

Verlust der Normen

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DW-Autor Kersten Knipp

Diese Beobachtung widerspricht einem weiteren gern in Umlauf gebrachten Versuch, Gewalt zu erklären und vielleicht sogar zu legitimieren: Dass nämlich der Staat für das Wohlergehen der Bürger sorgen müsse. Nur dann würden sie ihn akzeptieren und im Gegenzug auf Gewalt verzichten. Diese These ist durch die Schorndorfer Mittelstandskrawalle erst einmal erledigt.

Stattdessen bietet sich eine andere Vermutung an: Gewalt wird verübt, weil das gefahrlos möglich ist. Randale geschieht, weil sie meist ohne Konsequenzen, jedenfalls ohne ernsthafte Konsequenzen bleibt. Das zeigt jedes Bundesligawochenende. Denn der Staat verzichtet darauf, Normen und zivilisatorische Standards mit Entschiedenheit durchzusetzen.

Rauer Alltag

Die Folgen sind beunruhigend, auch und vielleicht gerade in den kleinen, unspektakulären Szenen des Alltags. Normen werden subjektiv als immer weniger gültig empfunden. Das führt dazu, dass andere Personen in ihren Rechten und ihrer Unversehrtheit als immer weniger bedeutsam angesehen werden. Ich selbst etwa wohne mitten in einem beliebten Kölner Ausgehviertel. Dort stehen die Menschen gerne auch vor den Kneipen, auf dem Bürgersteig. Sie tun das inzwischen so, dass sie den gesamten Bürgersteig einnehmen. Wer vorbei will, muss auf die Straße ausweichen. Ähnlich verhält es sich mit jenen Passanten, die auf dem Bürgersteig gern in Dreier- oder Vierergrüppchen spazieren: Will man mit ihnen nicht zusammenprallen, muss man sich sehr, sehr schlank machen.

Dass es jenseits des eigenen Horizonts noch andere Menschen auf der Welt gibt, ist ein Gedanke,  der offenbar nicht mehr durchgehend als selbstverständlich gelten kann. Umsichtiges und komplexes Denken ist in Teilen auf dem Rückzug. Andere Menschen werden nur noch als Hintergrundstaffage des eigenen Erlebens wahrgenommen.

Rückkehr des Faustrechts?

So, in extremer Form, auch in Hamburg und Schorndorf. In beiden Fällen traf es die Polizisten. Sie werden attackiert, wie es die Generation jener, die da überwiegend randalierte, aus Videospielen kennt. Polizisten, das sind aus ihrer Sicht Spielfiguren, die es anzugreifen gilt. Das bleibt nicht für alle, aber doch für viele der Gelegenheitsschläger ebenso ohne Konsequenzen wie im Videospiel. Dem Kontrollverlust geht der Normenverlust voraus. Der Gedanke, der Staat müsste durch härteres juristisches Durchgreifen den Normen wieder zur Geltung verhelfen, scheint nicht absurd. Ansonsten droht die Rückkehr des Faustrechts.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika