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Die Milchmädchenrechnung

Kerstin Schweizer Kommentarbild App PROVISORISCH
Kerstin Schweizer
30. Mai 2016

Deutsche Landwirte bekommen 100 Millionen Euro Soforthilfe, um durch das Preistief zu kommen. Das wird vielen helfen. Es ändert aber nichts am Grundproblem, meint Kerstin Schweizer.

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Deutschland BdT Milchbauer Steffen Hinrichs
Bild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Die Milchbauern in meiner Verwandtschaft waren immer die ersten, die gehen mussten. Wenn die Braten auf den Familienfeiern gegessen waren, man sich reichlich bei Kartoffelklößen und Spätzle bedient hatte, darauf noch diverse Stück Sahnetorte geschichtet wurden, bestellten die einen glücklich und zufrieden einen Zwetschgenschnaps. Die anderen erhoben sich. Der Stall rief.

Milchbauern sind Sklaven ihrer Kühe. Es ist ein Höllenjob, der mit dem heutigen Verständnis von zumutbaren Arbeitsbedingungen schon lange nicht mehr vereinbar ist. Niemals ausschlafen, niemals Wochenende, niemals Urlaub. Die Entlohnung ist ein Hohn. Darauf zu verweisen, dass Bauern zum Jammern geboren wurden, ist eine Frechheit. Um zu verstehen, von was man redet, wenn man über Milch redet, rate ich jedem: Geht mal ein, zwei Wochen in den Stall zum Melken.

Vor allem Familienbetriebe leiden

Der sogenannte Strukturwandel, also das Sterben von kleinen Höfen und das Entstehen von großen, schreitet voran. Aber immer noch sind zwei von drei Milchbauern kleine Betriebe mit weniger als 50 Kühen. Immer noch wird in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg, also dort, wo die kleinen Höfe zu Hause sind, die meiste Milch produziert. Unter den Niedrigpreisen leidet also zahlenmäßig am meisten der klassische Familienbetrieb. Diesen jetzt in der Krise zu unterstützen ist richtig. Doch die Art und Weise, wie es nun auf dem Milchgipfel beschlossen wurde, geht am Grundproblem vorbei.

Milch ist ein austauschbares Produkt. Man sieht ihr nicht an, wie und wo sie produziert wird. Zwischen einer vom Konditor gefertigten Torte und einem Tiefkühlkuchen aus der Backfabrik besteht ein deutlicher geschmacklicher Unterschied. Ein vom Tischler gezimmerter Schrank ist in seiner Machart anders als das Pendant von Ikea. Milch aber ist immer gleich, eine weiße Emulsion aus rund 90 Prozent Wasser, dazu Fett, Eiweiß, Kohlehydrate. Für Kunden in Supermarkt ist es nicht leicht nachvollziehbar, weshalb der eine Tetrapackwürfel doppelt so viel kosten soll wie der andere. Die meisten nehmen deshalb das billigere Angebot. Ein kleiner Hof aber produziert teurer als ein großer. Das kann nicht gut gehen.

Kerstin Schweizer DW Wirtschaft
Kerstin Schweizer, DW WirtschaftsredaktionBild: DW/B. Geilert

Export: Fluch und Segen

Und dann ist da der Weltmarkt. Der europäische Milchpreis hängt zu 80 Prozent vom Weltmarktpreis ab. Wie viel Cent es also für einen Liter Milch gibt, wird weniger in Deutschland, als auf den globalen Märkten ausgehandelt. Dabei treten deutsche Betriebe vor allem gegen neuseeländische an, die schon allein auf Grund ihrer klimatischen Bedingungen weit günstiger produzieren. Das geht noch weit weniger gut.

Was tun? Den Welthandel abschaffen? Geht nicht. Das zu fordern wäre auch unglaubwürdig. Schließlich haben die deutschen Landwirte diese Entwicklung jahrelang mitgetragen, denn sie sahen sich als Exporteure auf der Gewinnerseite. Der Milchpreis wird also weiterhin ein globaler sein und wie jeder andere Preis munter schwanken.

Um die Schwankungen wenigstens einzudämmen, hat der Bauernverband auf dem Milchgipfel eine freiwillige Mengenregulierung vorgeschlagen. Das soll Überproduktionen wie derzeit vermeiden. Für den Handel gab es auch einen Tipp: Bitte verzichtet doch künftig auf Preisdumping. Discounter, die auf Margen verzichten? Tausende Landwirte, die sich mit verschiedenen Molkereien über die Menge der zu melkenden Milch verständigen? Klingt nicht sehr realistisch.

Es geht nicht nur um die Milch

Vielleicht sollte man nicht nur an Milch denken, wenn man über Milch redet. Vielleicht sollen alle mal kurz die Augen schließen und sich ein Deutschland vorstellen, in dem es keine klassischen Bauernhöfe mehr gibt. Bauern tragen zwar nur einen kleinen Teil zum Bruttoinlandsprodukt bei. Doch keine andere Branche ist so landschaftsprägend. Monotone Äcker bis zum Horizont oder kleinteilige Landschaft? Der Bauer macht´s. Abgeschottete Riesenställe oder gemütlich grasende Kühe auf der Weide? Der Landwirt entscheidet. Beziehungsweise die Politik. Besser: Wir alle. Der Erhalt des ländlichen Raumes ist vielleicht die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Die Milch ist da nur ein kleiner Baustein.

Der Erhalt der Höfe allerdings ist wesentlich. Eine gepflegte Landschaft, die Angestellte und Beamte gern als Kulisse für ihre Freizeit nutzen, trägt wesentlich dazu bei, ob eine Region als attraktiv empfunden wird oder nicht. Auch dazu, ob Handwerk und Betriebe es schaffen, qualifizierte Mitarbeiter im ländlichen Raum zu halten. Man sollte Bauern also nicht nur als Produzenten von Lebensmitteln begreifen, sondern als die, die die Landschaft pflegen, auch als Landschaftspfleger bezahlen. Verschiedene EU-Programme dafür gibt es schon, aber sie sind viel zu gering, als dass es sich lohnt. Da muss viel, viel mehr Geld hin, so dass die Landwirte nur zu einem Teil vom jeweils gültigen Milchpreis abhängig sind.

Mehr Marketing!

Doch auch die Bauern selbst könnten mehr tun. Wieso sind sie so schlecht im Marketing? Warum machen so wenige ihre Milch zur regionalen Marke? Da, wo es versucht wird, beim Biodorf Brodowin etwa oder bei der Alpenmarke Berchtesgardener Land, sind die Projekte meist erfolgreich. Verbraucher suchen den Bezug zu ihrer Region. Es wird ihnen nur zu wenig angeboten. Da wären die Verbände und Landwirtschaftsschulen mit mehr Bildungsarbeit gefragt.

Das alles wird die Entwicklung hin zu großen Höfen nicht aufhalten. Aber es gäbe eine faire Möglichkeit zur Koexistenz. Wer sich eher als Landschaftspfleger sieht, sollte diesen Weg mit verlässlicher staatlicher Förderung im Rücken gehen können. Wer auf niedrige Produktionspreise durch große Ställe setzt und sich den Wind des Weltmarktes um die Nase wehen lassen möchte - bitteschön. Staatliche Unterstützung erübrigt sich hier. Dass man mit ein paar Millionen Euro Notfallhilfe, wie nun beschlossen, nachhaltig über die Krise kommt, ist allerdings eine Milchmädchenrechnung.