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Politik

Keine Freunde außer den Bergen

27. September 2017

Die Kurden besitzen jedes Recht auf Unabhängigkeit. Aber das Referendum hat die explosive Situation in Nahost weiter verschärft. Jetzt ist erst einmal auf allen Seiten Abrüstung gefragt, meint Matthias von Hein.

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Irak Unabhängigkeitsreferendum der Kurden
Mit dem Porträt von Kurdenführer Masud Barzani wurde im Nordirak für das Referendum geworbenBild: picture-alliance/dpa/D. Vinogradov

Die Kurden, so heißt es, hätten keine Freunde außer den Bergen. Mit ihrem Unabhängigkeitsreferendum stellen sie sich tatsächlich gegen den Rest der Welt. Die hat allerdings nie viel für die Kurden getan. Abgesehen von Israel, dass selbst von Feinden umzingelt ist, gibt es weltweit keine Unterstützung für die kurdische Unabhängigkeit. Stattdessen gibt es vom weiter entfernten Ausland Bedenken und Kritik. Je näher man nach Kurdistan kommt, um so unverhohlener werden die Drohungen: Im Norden hat die Türkei ihre Einschüchterungsversuche mit Panzern an der Grenze militärisch untermauert. Im Osten stehen iranische Truppen. Und im Süden hat Bagdads Ministerpräsident Abadi irakische Soldaten und schiitische Milizen in Marsch gesetzt.

Die Staaten der Region scheinen sich einig in ihrem Willen, unter allen Umständen jene Grenzen zu erhalten, die von den Kolonialmächten Frankreich und England nach dem Ersten Weltkrieg ohne Rücksicht auf die lokalen Bevölkerungen in der Konkursmasse des untergegangenen Osmanischen Reiches gezogen wurden.

Das größte Volk ohne eigenen Staat

Nur: Die Kurden waren damals leer ausgegangen - trotz gegenteiliger Versprechungen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt zwar als Grundsatz des Völkerrechts. Es ist auch in der UN-Charta festgeschrieben. Aber für die geschätzt gut 40 Millionen Kurden - das größte Volk ohne eigenen Staat - blieb es bis heute eine hohle Phrase. Umgekehrt darf es niemanden wundern, dass den Kurden die territoriale Integrität des Irak nicht eben viel bedeutet. Jahrzehntelang wurden sie im Irak unterdrückt, zum Teil vertrieben, mit Giftgasangriffen zu Tausenden getötet.

von Hein Matthias Kommentarbild App
DW-Redakteur Matthias von Hein

Historisch könnte der Zeitpunkt für die Kurden kaum günstiger sein: Im Kampf gegen die Barbarei der  IS-Terrormiliz haben sie die Sympathie der Welt gewonnen - und wurden mit modernen Waffen ausgestattet. Der irakische Zentralstaat ist schwach. Die Türkei ist vom Putsch im vergangenen Jahr zerrissen und hat sich von ihren westlichen Verbündeten entfremdet. Und die syrische Stimme spielt im Konzert der Regionalmächte mit kurdischer Bevölkerung überhaupt keine Rolle. Das Referendum spiegelt daher mindestens ebenso sehr die Stärke und den Unabhängigkeitswunsch der Kurden wie die Krise des irakischen Staates und das Chaos in der Region.

Und doch kann es sein, dass der Präsident der kurdischen Regionalregierung mit dem Referendum zu hoch gepokert hat. Barzani hatte das Referendum vor allem aus innenpolitischen Gründen angesetzt: Um seine eigene Position und die seiner Partei, der Demokratischen Partei Kurdistans, KDP, zu stärken. Barzani regiert nahezu diktatorisch und seit Jahren ohne demokratische Legitimation. Weswegen er in Kurdistan durchaus umstritten ist. Möglicherweise hat Barzani die Begeisterung seiner Bevölkerung für die Unabhängigkeit ebenso unterschätzt, wie die Gegnerschaft der Regionalmächte. 

Keine automatische Unabhängigkeitserklärung

Damit es im Pulverfass Nahost jetzt nicht zu einer weiteren Explosion kommt, müssen alle Beteiligten Ruhe bewahren: Das Referendum ist rechtlich nicht bindend und die kurdische Regionalregierung hat seit jeher betont, dass auf die Volksbefragung nicht automatisch die Unabhängigkeitserklärung folgt. Barzani kann sie zur einfachen Meinungsumfrage umdeklarieren. Bagdad, Ankara und Teheran wiederum sollten schleunigst rhetorisch und militärisch abrüsten. Je mehr auch sie das Referendum als nicht bindende Meinungsumfrage behandeln, desto besser. Denn die Wahrheit ist, dass die Autonome Region Kurdistan schon vor dem Referendum alle Merkmale der Unabhängigkeit besaß: eigene Verwaltung, eigenes Militär, eigene Schulbücher, Kontrolle über die Grenzen und darüber, wer ein- und ausreist.

Vielleicht lässt sich so die Lage für den Moment noch einmal entschärfen - zu Lasten echter Unabhängigkeit und damit des kurdischen Selbstbestimmungsrechts. Aber spätestens, wenn ernsthaft über einen Frieden in Syrien verhandelt wird, taucht auch dort die Kurden-Frage wieder auf. Solange die nicht gelöst ist, wird die Region nicht wirklich zur Ruhe kommen.

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Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein