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Die Demontage beginnt

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Henrik Böhme
28. September 2015

Kaum, dass sich die ersten Abgaswolken des VW-Skandals etwas verzogen hatten, beginnt die Justiz mit ihren Ermittlungen. Auf den Autobauer und seinen Ex-Chef Winterkorn kommen ganz harte Zeiten zu, meint Henrik Böhme.

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Bild: picture-alliance/dpa/O. Spata

Das ging dann mal schnell: Gut anderthalb Wochen nach Bekanntwerden des Skandals um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen beginnt die Staatsanwaltschaft in Braunschweig mit den Ermittlungen. Der Vorwurf, der sich gegen den noch bis zum vergangenen Donnerstag amtierenden Konzernchef Martin Winterkorn richtet, lautet: Betrug. Zudem liegt den Staatsanwälten ein Anzeige von Volkswagen selbst vor, die klären soll, wer letzten Endes verantwortlich für den Einbau manipulierter Motorelektronik war und wer wann davon gewusst hat.

Betrug also.

Das ist für einen, der eben noch Chef von Europas größtem Autobauer war, einen, der danach strebte, diesen Konzern an die Weltspitze zu führen, so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann. Denn wenn es etwas gibt, das durch nichts zu ersetzen ist, dann ist es Vertrauen. Winterkorn wollte noch etwas retten, als er sich am vergangenen Dienstag auf der Firmen-Webseite per Video zu Wort meldete, aber schon das war so unglücklich inszeniert, dass man es nur als Desaster bezeichnen konnte.

Was nun beginnt, die Aufarbeitung des Skandals nämlich, wird nicht nur den Lebensabend des mittlerweile 68jährigen Martin Winterkorn erheblich beinträchtigen. Wenn man ihm nachweisen kann, dass er von den Tricksereien gewusst hat, dürfte von den vielen Millionen, die er bei VW kassiert hat, nicht mehr viel übrig bleiben, von seinem Lebenswerk schon gar nichts.

Aber das ist nur die eine Seite der Affäre.

Der viel wichtigere Teil ist die Zukunft des Volkswagen-Konzerns. Da rollt ein Klage-Tsunami auf Wolfsburg zu, der nur zu vergleichen ist mit den juristischen Auseinandersetzungen, die die Deutsche Bank seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 bis heute durchmacht. Tausende von Verfahren, Milliarden an Rückstellungen und Strafzahlungen, ein Imageschaden, der nicht zu beziffern ist.

Vorteil für die Deutsche Bank: Sie ist nicht allein auf der Anklagebank, viele andere Großbanken haben ebenfalls getrickst und geschummelt, haben Wechselkurse manipuliert und Kunden falsch beraten. Die heimliche Hoffnung in Wolfsburg dürfte in diese Richtung gehen: Die anderen haben ja auch gemogelt. Doch bislang sind sie einzigen, die erwischt wurden.

Wie immer das ausgeht, für Volkswagen ist mit dem Abgasskandal eine neue Zeitrechnung angebrochen. Die Firmenstrategie ist es seither nicht mehr, die Nummer Eins werden zu wollen, sondern: den Laden vor der Zerschlagung zu retten. Denn nicht nur die Staatsanwälte in Braunschweig haben die Ermittlungen aufgenommen. Weltweit beginnen Ermittlungsbehörden, sich Volkswagens Aktivitäten in den jeweiligen Ländern genauer anzuschauen.

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Bild: DW

Besonders heftig freilich in den USA, von dort droht die größte Gefahr. Nicht nur von etlichen Autobesitzern, die sich getäuscht sehen und bereits Klage eingereicht haben. Mehrere Bundesstaaten wollen gemeinsam gegen den Konzern ermitteln. Auch ein erster Pensionsfonds hat Klage eingereicht, weil er durch den Kurssturz der VW-Aktie infolge der Abgasaffäre mehrere hundert Millionen Dollar verloren hat.

Die Wolfsburger haben zwar eine gut gefüllte Kriegskasse und bereits erste Milliarden auf die hohe Kante gelegt. Doch dürfte dies bei weitem nicht genügen, die zu erwartenden Strafen zu bezahlen oder entsprechende Vergleiche, um langwierigen und teuren Gerichtsprozessen zu entgehen. Schon prüfen die großen Ratingagenturen ihre Bonitäts-Einstufung von VW angesichts der absehbaren Belastungen.

Nein, das wird keine schöne Zeit für Volkswagen.

Somit erweist sich der Sieg, den Martin Winterkorn vor einem halben Jahr gegen seinen Ziehvater Ferdinand Piëch errungen hat, endgültig als Pyrrhussieg. Piëch hatte die Gefahr erkannt, die in den verkrusteten Strukturen des VW-Reiches lauerte. Sein Lösungsansatz allerdings schlug fehl, nämlich Winterkorn einfach - ganz in alter Patriarchenart - vom Hof zu jagen.

Tatsächlich braucht der Volkswagen-Konzern eine moderne Struktur. Die hat der Aufsichtsrat zwar am vergangenen Freitag beschlossen. Doch ob man in Wolfsburg in den kommenden Monaten, vielleicht Jahren, die Kraft und Konzentration findet, diese neue Struktur wirklich mit Leben zu füllen, halte ich für höchst ungewiss.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58