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Politik

Kommentar: Die Aasgeier vom Finanzministerium

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter
13. Mai 2017

Kaum sprudeln die Steuereinnahmen, überbieten sich die Parteien reflexartig mit Vorschlägen, was mit dem Geld anzufangen sei. Das ist weder selten, noch schön, findet Jan D. Walter. Am Ende wird so nichts übrig bleiben.

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Deutschland Bundesministerium der Finanzen Berlin
Bild: Imago

Aasgeier sind jene, die sich um einen schwer kranken Verwandten scharen, um beim Erbe bloß nicht übergangen zu werden. Nun stellt die jüngste Steuerschätzung zwar nicht den finalen Kollaps der öffentlichen Kassen in Deutschland in Aussicht, sondern 54,1 Milliarden bisher unverplante Steuereinnahmen bis 2021. Schwer krank ist der deutsche Staatshaushalt jedoch in Anbetracht von mehr als zwei Billionen Euro Schulden allemal. Und die Art, wie Politiker über dem Finanzministerium kreisen, um etwas für ihre jeweilige Klientel abzustauben, hat durchaus etwas Geierhaftes - besonders, wenn eine Bundestagswahl ansteht.

Allein, dass Politiker - zum Beispiel Markus Söder und Martin Schulz - davon sprechen, "den Bürgern etwas zurückzugeben", spricht Bände: Steckt darin etwa das stille Bekenntnis, dass die anderen Steuermilliarden vielleicht doch nicht in Gänze zurück zu den Bürgern fließen? Wohl kaum. Aber in jedem Fall wird getan, als lägen die Steuereinnahmen 2018 bis 2021 schon in der Staatskasse und würden nur darauf warten, irgendwie ausgegeben zu werden.

Dass Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Euphorie bremsen, beruhigt nur mäßig, denn auch sie sprechen von Steuererleichterung und weiteren "Investitionen". Klar, die CDU will im Wahljahr eben überall Stimmen abgraben: mit Steuersenkungen die "konservativen", mit Mehrausgaben die "progressiven".

Dem eigenen Credo folgen hieße: Schulden abbauen

Immerhin, Schäuble will auch Schulden abbauen, und das ist das einzig Richtige - zumindest wenn man der Wirtschaftstheorie folgt, auf die sich - bewusst oder unbewusst - jeder deutsche Politiker im verfassungstreuen Spektrum beruft: dem Keynesianismus.

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DW-Redakteur Jan D. Walter

In eine simple politische Handlungsanweisung übersetzt, lautet die Theorie des britischen Ökonomen John Maynard Keynes: Eine Regierung muss investieren - in Straßen, öffentliche Dienstleistungen etc. -, um Beschäftigungsniveau und Konsum hochzuhalten und dadurch Unternehmen zu Investitionen anzuregen. Das zumindest ist der Teil, den augenscheinlich die meisten Politiker kennen.

Wie Keynes' Kritiker immer wieder prognostizierten, würden Politiker andere Teile der Theorie standhaft ignorieren. Vor allem den: dass der Staat Investitionen in Boomzeiten zurückfahren muss. Unter anderem, um Steuereinnahmen für die nächste Flaute zu sparen.

Zugegeben: Diese Zusammenfassung wird weder Keynes, noch seinen Kritikern gerecht, die zahl- und kenntnisreich die Inkonsistenz seiner Theorie nachgewiesen haben. Aber daran stören sich ja auch die Politiker, um die es hier geht, offenbar nicht: "Zwischen 1950 und 2015 sind sowohl die Ausgaben als auch die Einnahmen der öffentlichen Haushalte kontinuierlich gestiegen", resümiert die Bundeszentrale für politische Bildung. Überhaupt, heißt es weiter, "lagen die Einnahmen der öffentlichen Haushalte 2014 und 2015 das erste Mal seit den 1950er-Jahren in zwei aufeinanderfolgenden Jahren über den Ausgaben."

Schuldenabbau fortsetzen!

Im Ergebnis zahlt die Bundesrepublik derzeit mehr als 40 Milliarden Euro jährlich für seine Kredite - und das bei minimaler Amortisation und historisch niedrigen Zinsen. Und: Steigen diese auch nur minimal, winken die prognostizierten Mehreinnahmen bestenfalls noch zum Abschied.

Angesichts der guten Wirtschaftslage wäre also dringend geboten, den gerade erst eingeleiteten Schuldenabbau in größtmöglichen Schritten fortzusetzen - also ohne, dass das Staatswesen zusammenbricht. Irgendwann würde sich dadurch wie von selbst ein Spielraum zur Steuersenkung ergeben.

Aber vermutlich ist dieser Weg zu lang, als dass irgendein Politiker ernsthaft versuchen würde, sich damit zu schmücken. Sie denken eben, wie Keynes einst schrieb: "In the long run we are all dead." - "Auf lange Sicht sind wir alle tot." Und wenn das so weiter geht, bleibt am Ende nichts übrig für die Aasgeier.

 

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Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.