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Deutschland bleibt! - Welches bitte?

11. September 2016

Wer hat Angst vor Neuem? Offenbar viele. Angela Merkel weiß das und beruhigt: Das Land bleibe, was es ist. Aber was ist es? Ein Land, das sich schon immer verändert und gewandelt hat, meint Volker Wagener.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Rede im Bundestag (Foto: picture-alliance/dpa/M.Kappeler)
Bild: picture-alliance/dpa/M.Kappeler

Es gibt sie, diese Beruhigungssätze. "Alles wird gut" ist so einer. Er suggeriert Zuversicht. Einfach so, ohne Angabe von Gründen. "Deutschland wird Deutschland bleiben" ist auch so ein Tranquilizer. Wirkt auf jeden Fall angstlösend und entspannend. Und war es nicht so, dass wir uns irgendwie gestreichelt fühlten, als die Bundeskanzlerin diese Woche im Bundestag diesen einfachen Hauptsatz aussprach? Die Botschaft ist doch: Ja, dieses Land wird sich nicht so verändern, dass wir uns fremd darin vorkommen. Fast egal, wie viele Flüchtlinge noch kommen werden.

Ja, Deutschland verändert sich gerade. Darum geht es. Und diese Veränderung macht vielen Angst. Aber hat sich das Land nicht immer wieder verändert? Und wie! Zum letzten Mal 1989. Was machten da für Horrorszenarien die Runde: Das größere Deutschland werde nun wieder auf Großdeutschland machen oder der Osten werde den Wohlstand des Westens ruinieren. Besonders laut stimmten damals Spitzen-Linke wie Oskar Lafontaine oder Günter Grass in den Kanon der Miesmacher ein. Sie hätten am liebsten alles so gelassen, wie es war: getrennt eben.

Schon immer kamen Fremde nach Deutschland

Und wie hat sich (West-)Deutschland verändert in den 1960/70er-Jahren, als die "Gastarbeiter" kamen. Auf Knien haben wir sie gerufen, die Italiener, die Portugiesen und vor allem die (muslimischen!) Türken und Kurden, damit sie überall dort arbeiten, wofür kein Deutscher mehr zu finden war. Schon damals war alles auf Zeit angelegt. Deshalb das "Gast" vor dem Arbeiter. Von bleiben war ja keine Rede. Aber sie blieben. Hat das die Republik ruiniert?

Ganz zu schweigen von den Hunderttausenden Polen, die im 19. Jahrhundert ihre Schollen im Osten Europas verließen, um in Gelsenkirchen oder Herne "vor Kohle" (so heißt das im Bergwerksjargon) zu schuften. Auch das eine historische Veränderung, die die deutsche Gesellschaft - zumindest im Ruhrgebiet - komplett verändert hat: zu ihrem Besten, wohlgemerkt.

Und dann die ganzen schleichenden, gesellschaftlichen Veränderungen, über die niemand redet, weil sie sich nicht an Ereignissen oder politischen Entscheidungen festmachen lassen. Wie hat beispielsweise das Internet die gesamte Handelsstruktur auf dem Land und in den kleinen Städten verändert? Wo gibt es noch Geschäfte in den Dörfern? Landleben ist heute vielfach ein Leben unter Alten. Stattdessen findet sich in jedem zweiten Dorf ein Swinger- oder Saunaclub, ohne dass sich darüber noch jemand aufregen würde. Die Kirchen, die dagegen vor 50 Jahren noch mobilisiert hätten, werden nur noch von einer Minderheit besucht - dem ganzen Gerede vom christlichen Abendland zum Trotz.

DW-Redakteur Volker Wagener
DW-Redakteur Volker Wagener

Obwohl der Wandel also die Regel ist, scheint Veränderung dennoch die große Angstkeule unserer Zeit zu sein. Am unmittelbarsten erleben wir das nicht auf der Bühne der politischen Haupt- und Staatsaktionen, sondern an unserem Arbeitsplatz. Für Teile der 40- bis 55-Jährigen, der "Generation Mitte", ist das Tempo der immer weiteren "Optimierung" in Büro und Produktion beunruhigend. Das macht nicht nur schlechte Laune, das macht krank.

Der rote Faden in unserem Leben

Die permanente Neuerfindung ist längst der rote Faden in unserem Leben. Für jeden Einzelnen, für jedes Unternehmen, für die Kommunen, die christlichen Kirchen, den Staat. Die Ankunft der Flüchtlinge befeuert nun diese grundsätzlichen Ängste auf diffuse Art. Sich fremd fühlen im eigenen Land hat aber wenig mit den Neuankömmlingen zu tun. Dieses Unbehagen ist älter und verdichtet sich nun, weil Teile unserer Gesellschaft glauben, ein Feindbild gefunden zu haben.

Das ist die Momentaufnahme. Tatsächlich ist das, was sich seit Sommer 2015 in Deutschland verändert, eine Generationenaufgabe und nichts für eine Legislaturperiode. Wenn Angela Merkel ihren Satz "Deutschland wird Deutschland bleiben" so gemeint hat, dass wir Deutschen immer schon Veränderung erlebt haben und diese auch gemeistert haben, dann ist ihr zuzustimmen: Es bleibt Dynamik im Land, denn Stillstand ist (meistens) schädlich.

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Porträt eines Mannes mit Mittelscheitel und Bart
Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe