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Kommentar: Der Föderalismus muss reformiert werden

Felix Steiner18. Oktober 2005

Nach dreiwöchigen Sondierungsgesprächen zwischen den Parteien hat sich das einzig realistische Regierungsbündnis herauskristallisiert. Vor welchen Aufgaben steht die große Koalition?

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"Merkels Kabinett steht" - so oder ähnlich titeln am Dienstag (18.10.2005) die meisten Zeitungen in Deutschland. Richtig. Seit nun auch die Unionsparteien am Montag entschieden haben, wer welches Ministeramt bekleiden soll, wissen die Deutschen immerhin, wer sie in Zukunft regieren wird. Aber: Wofür Merkels Kabinett steht - das wissen die Bürger genau einen Monat nach der Wahl noch nicht.

Wer darf wohin?

Deutschlands Leitartikler und Talk-Show-Moderatoren gehen derweil ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Sie analysieren, wer sich bei der Verteilung der Kabinettsposten auf wessen Kosten durchgesetzt hat. Sie untersuchen, ob Angela Merkel durch das Agieren der Vorsitzenden von CSU und SPD eher gestärkt oder geschwächt wurde. Und sie versuchen herauszufinden, wer innerhalb der Regierungskoalition welche Interessengemeinschaft hinter dem Rücken der Kanzlerin bilden könnte.

Den normalen Bürger interessiert das mit Verlaub herzlich wenig. Die Menschen wollen wissen, was sie unmittelbar betrifft: welche Steuern in Zukunft erhöht oder gesenkt werden, ob die Renten steigen oder fallen, Arbeitslose künftig weniger Geld erhalten als bisher, was der Besuch beim Arzt, der Aufenthalt im Krankenhaus oder Medikamente demnächst kosten, oder auch ob die Nutzung von Autobahnen weiterhin kostenlos bleibt. All das aber wird erst in den kommenden vier Wochen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen geklärt. Insofern war der vergangene Monat aus Sicht der Bürger verschwendete Zeit.

Schmerzhafte Einschnitte

Die Bürger sind an Ergebnissen interessiert. Ergebnisse, von denen sie ahnen, dass sie schmerzhaft sein werden. Und genau davor haben sie Angst. Zwar wissen die Menschen, dass fünf Millionen Arbeitslose auf Dauer den Sozialstaat in den Ruin führen und die öffentlichen Haushalte im Prinzip schon heute vor dem Bankrott stehen. Aber vor den einschneidenden Konsequenzen fürchtet man sich mehrheitlich. Eben weil die Unionsparteien im Wahlkampf harte Maßnahmen angekündigt haben, haben sie am 18. September so schlecht abgeschnitten. Und genau deswegen werden in aktuellen Meinungsumfragen genau jene Kabinettsmitglieder am positivsten bewertet, die am ehesten für ein Festhalten am Bestehenden plädieren.

All das sind angesichts einer immer stärker auf kurzfristige Meinungsumfragen ausgerichteten Politik keine wirklich guten Voraussetzungen für die Koalition unter Führung von Angela Merkel. Es bleibt fraglich, wie viel sie auf den Feldern Senkung der Arbeitslosigkeit und Sanierung der Staatsfinanzen tatsächlich bewegen kann.

Landtagswahlen als Protestwahlen

Insofern könnte das dritte zu Beginn der Koalitionsverhandlungen definierte Aufgabenfeld - eine Reform des deutschen Föderalismus - das wichtigste und entscheidende werden. Es geht darum, die Zuständigkeiten der Bundesregierung auf der einen und der 16 Landesregierungen auf der anderen Seite zu entflechten.

Den Bürgern würde so künftig die Möglichkeit genommen, die Arbeit der von ihnen selbst gewählten Bundesregierung dadurch zu sabotieren, dass Landtagswahlen zu Protestwahlen umfunktioniert werden. Mit dem Ergebnis, dass jede reformbereite Bundesregierung sich innerhalb kürzester Zeit einer massiven Opposition im Bundesrat, der deutschen Länderkammer, konfrontiert sieht, die jeden entscheidenden Schritt blockiert. Genau diese Entwicklung hat Deutschland in den vergangenen 15 Jahren am meisten geschadet. Würde sie von der Großen Koalition beendet, wäre viel gewonnen. Alle weiteren Aufgaben könnte dann die nächste Regierung übernehmen - mit welchen Mehrheiten auch immer.