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Den Wahnsinn verstehen

Marko Langer24. März 2016

24. März 2015: Ein kranker Pilot steuert eine Passagiermaschine in den Tod. 22. März 2016: Terroristen sprengen sich und andere Menschen in die Luft. So ein Wahnsinn. Über die Täter wissen wir zu wenig, so Marko Langer.

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Haltern am See - Gedenktafel für die Opfer von Flug 4U9525
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kusch

Der deutsche Terroristenfahnder Horst Herold, der den Verbrechern der Rote-Armee-Fraktion (RFA) auf die Spur kam, hat einmal über seine Arbeit gesagt: "Man musste sich gedanklich in die Gegner hineinarbeiten." Die Bekämpfung der RAF sei "wie eine Rechenaufgabe" gewesen, so der langjährige Chef des Bundeskriminalamtes. Eine Rechenaufgabe, eine nüchterne Sache.

Nicht umsonst gilt Herold bis heute als unerreicht. Sich gedanklich in die Gegner hineinarbeiten, das konnte er wie kein anderer. Den Satz kann man übertragen: Egal ob Terrorist, Amokläufer oder Todespilot - wir müssen uns gedanklich in die Köpfe der Täter hineinarbeiten.

Germanwings-Flug 4U9525

Noch heute, ein Jahr nach dem Absturz des Germanwings-Fluges mit der Nummer 4U9525, fragen sich die Angehörigen, warum ihre Liebsten in dem Airbus A320 über den französischen Alpen sterben mussten. Sie wissen zwar, dass Passagiere und Besatzung Opfer des kranken Co-Piloten Andreas Lubitz wurden. Doch was trieb Lubitz dazu, die Flughöhe von 38.000 auf 100 Fuß zu verringern und gleichzeitig die Geschwindigkeit zu erhöhen? Den Sinkflug für 149 Menschen aus 21 Nationen in den Tod einzuleiten?

Wir haben nach der Katastrophe viele Bilder von Co-Pilot Andreas Lubitz gesehen. Bilder eines gut trainierten Marathonläufers, eines passionierten Segelfliegers. Und wir haben gelesen, dass der junge Mann seine Ausbildung wegen Depressionen unterbrechen musste, dass der 27-Jährige in psychiatrischer Behandlung war, dass er Medikamente nicht nahm und um sein Augenlicht fürchtete. Wir lesen, dass Ärzte ihn krankgeschrieben hatten. Dennoch war er für die Fluggesellschaft zuletzt 100 Prozent flugtauglich.

Das alles wissen wir - heute. Opferanwalt Elmar Giemulla spricht von einer Fehlerkette, er nennt Lubitz eine lebendige Zeitbombe, für dessen Gefährlichkeit es Indikatoren gab. Doch die wirklichen Gründe für den Irrsinn des Co-Piloten kennen wird nicht. Mag sein, dass die unmittelbar behandelnden Therapeuten weitergehende Informationen haben. Oder dass der nach der Katastrophe so umsichtig kommunizierende Lufthansa-Chef Carsten Spohr die ganze Geschichte kennt. Und auch so die Verantwortung auf sich nahm. In diesem Fall. Und was ist beim nächsten Mal?

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Marko Langer, DW-NachrichtenredaktionBild: Sarah Ehrlenbruch

Der schmale Grat

Es ist ein schmaler Grat von der psychischen Erkrankung in den Wahnsinn. Vom Idealisten zum Fanatiker, zum Gewalttäter oder (Selbst-)Mörder gar. Wer schon einmal einen geliebten Menschen in der geschlossenen Station eines psychiatrischen Krankenhauses besuchen musste, weiß das. Und wird das nie vergessen. Wir wissen zu wenig über diese Mechanismen, über die kranken Köpfe und Seelen der Verbrecher, der Mörder, der Fanatiker. Ist es ein gutes Zeichen, dass in diesen Tagen psychiatrische Kliniken und Ärzte über den Kostendruck klagen und manche Patienten viel zu lange nach einem Therapieplatz suchen? Wohl kaum.

Wir wissen zu wenig über den Wahnsinn. Und so lange sich das nicht ändert, wird das grausame Gefühl der Ohnmacht, der Fassungslosigkeit nach solchen Mordtaten bleiben. Oder der Machtlosigkeit derer, die Verantwortung tragen. Ein Gefühl, das niemals obsiegen darf.

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