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Kommentar: Das Prinzip Klinsmann

Uta Thofern12. Juli 2006

Eine Nation fühlt sich im Stich gelassen. Klinsmann, der Hoffnungsträger, Klinsmann, der Held – er lässt uns allein. Ein Mann, der fürchtet, dass auf den WM-Rausch der EM-Kater folgen könnte?

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Projekt Bundestrainer abgeschlossen: Jürgen Klinsmann geht andere WegeBild: AP

Die ersten Reaktionen sehen anders aus. Nicht Klinsmann wird beschimpft, sondern diejenigen, die es ihm in der Vorbereitung der Fußball-Weltmeisterschaft schwer gemacht hatten, vom Deutschen Fußballbund bis zur Boulevardpresse. So viele hatten nicht an ihn geglaubt, seine neuen Methoden verlacht, ihm seinen Wohnsitz in Kalifornien verübelt und ganz besonders seinen unerschütterlichen Optimismus. Diese Nörgler sind es, glaubt man ersten Straßenumfragen, die Klinsmann jetzt zum Rückzug bewogen haben, denn natürlich würden sie wieder zuschlagen, sobald der Erfolg nachlässt.

Klinsmanns Nimbus reicht anscheinend weit genug, um seinen Rücktritt zu überstrahlen. Dass die Aufbruchstimmung, die er mit seiner Mannschaft ausgelöst hat, weiter trägt, scheinen viele schon nicht mehr zu glauben. Dabei wäre gerade jetzt der Moment gekommen, es zu beweisen. Haben wir nicht ein ganz anderes Selbstgefühl entwickelt während dieser WM? Haben wir nicht gelernt, dass ein dritter Platz wie ein Sieg gefeiert werden kann, dass jede Niederlage eine Chance, jedes Ende auch ein neuer Anfang ist?

Wer sich jetzt auf die Position zurückzieht, die ewigen Miesmacher hätten uns nun auch unseren Bundestrainer vergrault – typisch deutsch! – der hat weder den Menschen noch das Prinzip Klinsmann verstanden.

Das "global playerle"

Wenn Jürgen Klinsmann jetzt geht, dann tut er das auch aus persönlichen Gründen. Aber vor allem tut er es, weil er ein Projekt abgeschlossen hat und sich jetzt dem nächsten widmen möchte. Zu den Lektionen, die wir Deutschen von Klinsmann lernen konnten, gehören eben auch die: Flexibilität und Mobilität sind nicht mit Oberflächlichkeit gleich zu setzen, auch wer sich nur auf Zeit bindet, kann sich verpflichtet fühlen, Erfolg und persönliches Wohlbefinden schließen einander nicht aus, sondern bedingen einander.

"Postheroisches Management" nennt eine deutsche Unternehmensberaterin dieses System. Jürgen Klinsmann, das "global playerle", der Weltmann mit den schwäbischen Wurzeln, ist das beste Beispiel dafür. Die Zeit der harten Männer, die bis zum letzten Schweißtropfen kämpfen und den Kampf wichtiger finden als das Ergebnis – sie ist vorbei. Resultate zählen, und die lassen sich auch mit Charme und Taktik erzielen, vor allem aber mit einem neuen Blick und dem Mut, eingefahrene Wege zu verlassen. Die Bereitschaft zum Wechsel ist eine Voraussetzung dafür.

Wenn Jürgen Klinsmann jetzt geht, dann ist das für einen Profi wie ihn ganz normal. Und für uns Deutsche sollte es normal sein, darauf zu vertrauen, dass sein Nachfolger seine Sache ebenso gut macht. Schließlich hat er ein gutes Team und ein Land, das an sich und seine Mannschaft glaubt. Oder?