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Das Gespenst des hässlichen Deutschen

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
21. Juli 2015

Viel schlechte Presse für Deutschland - in der Schuldenkrise ist das Land zum Buhmann Europas geworden. Liegt das an den Deutschen? Eher vielleicht an einigen finanztechnischen Details, meint Kersten Knipp.

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Eine griechische Zeitung karikiert Wolfgang Schäuble, 13.02.2015 (Foto: AFP / Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Da ist er wieder. Der Besserwisser und Rechthaber, der Sparfuchs und Erbsenzähler, der Plattmacher und Hegemon, kurzum: der hässliche Deutsche. Der Nachfahre jener braunen Horden, die den Kontinent einst in Schutt und Asche legten, Millionen Menschen Tod und Verderben brachten. Eine Zeit lang schien es, als habe er sich zivilisiert, aber nun ist er wieder da: brutal, roh und ungestüm, und zugleich unendlich selbstgerecht. Geläutert vermutlich von braunen Idealen, aber darum nicht minder gefährlich. Immer noch will er Europa nach seinem Bilde formen. Dass das seine Nachbarn und am Ende auch ihn in den Abgrund reißt, kümmert ihn nicht. Für ihn zählt nur eines: Dass sein Weltbild sich durchsetzt, koste es, was es wolle.

Wer als Deutscher dieser Tage die ausländischen Medien liest oder den öffentlichen Debatten unserer europäischen Nachbarn folgt, kommt sich vor, als habe er die letzten Jahre in einem gnädigen Wahn verbracht. Über Jahre bildeten die meisten Deutschen sich ein, zu ihren Nachbarn endlich, endlich wieder ein gutes Verhältnis zu haben. Eines, dass nicht mehr unter dem Schatten des großen deutschen Sündenfalls der Jahre 1933- 1945 stand. Darum hatte sich das Land jahrelang bemüht. Und zwar aus echter Überzeugung. Aber auch von der Sehnsucht getrieben, wieder ein beliebter, oder sogar - der Gipfel aller Träume - ein ganz "normaler" Nachbar zu sein.

Ein "Viertes Reich"?

Dieser Tage scheint es, als seien diese Träume an ihr Ende gekommen. Geschichte, lernen wir, vergeht nicht. Ihr Schatten ist präsent, jederzeit bereit, die Realität aufs Neue zu verdunkeln.

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Kersten Knipp

Deutschland wolle Griechenland "zermalmen", erklärt etwa Nicolas-Dupont Aignan, Vorsitzender der im französischen Parlament vertretenen eurokritischen Partei Debout la France. Klar war für ihn auch, worauf die deutsche Haltung hinauslief: auf ein "Viertes Reich!"

Ähnlich sieht es auch Jean-Luc Mélenchon, Mitglied im Europäischen Parlament und Vorsitzender des Parti Gauche. Das heutige Deutschland sei mit dem der Jahre des Zweiten Weltkriegs zwar nicht zu vergleichen. "Aber es handelt sich um den gleichen korporatistischen Geist, die gleiche Arroganz, die gleiche Blindheit." Zum dritten Mal in der Geschichte, erklärt Mélenchon, "ist die Verbissenheit einer deutschen Regierung dabei, Europa zu zerstören".

Eine Diagnose, der zumindest in Teilen auch der italienische Publizist Aldo Cazullo zustimmt. Deutschland, schrieb er kürzlich in der Tageszeitung Corriere della Sera, habe nun erreicht, was es in zwei Kriegen nicht geschafft habe: die Vorherrschaft in Europa zu erhalten. "Doch diese Vorherrschaft setzt das Land weder großzügig noch weitsichtig ein."

Kapitalismuskritik und Deutschenschelte

Solche Diagnosen in den Ohren, fragen sich viele Deutsche, ob sie irgendetwas versäumt haben in den letzten Jahren. Die Antwort: Ja, das haben wir. Wir haben, wie alle anderen Europäer auch, massiv die kulturellen Folgen einer finanztechnischen Entscheidung unterschätzt, auf deren fatale Auswirkungen als einer der ersten der Ökonom Hans-Werner Sinn hinwies: nämlich die Vergemeinschaftung der Schulden seit dem Frühjahr 2010. Damals traten die europäischen Staaten auch für die Außenbestände der privaten Banken ein - und retteten sie so vor dem Verlust.

Dafür stellten sie, die Staaten, nun ihre Forderungen an Griechenland. In anderen Worten: Nun standen dem Land keine privaten Gläubiger mehr gegenüber, sondern andere Länder. Griechenland musste sich mit den Forderungen Deutschlands, aber auch anderer Länder auseinandersetzen. Nun standen nicht mehr Banken, sondern Staaten gegen das Land. Das war die Geburtsstunde des Denkens in nationalen Stereotypen. Und weil Deutschland die größten Forderungen hatte, stand bald auch der der hässliche Deutsche wieder auf der Bühne. Dort spielte er jene Rolle des bösen Buben, die bislang der "gewissenlose Banker", aufgeführt hatte. Unmerklich verwandelte sich Kapitalismuskritik in Deutschenschelte.

Historische Gespenster

Diese wurde beflügelt durch den atemberaubenden Umgang mit immer neuen Krediten, die die alten ablösten, um auf diese Weise die Zahlungsfähigkeit der verschuldeten Staaten zu erhalten. Ein Kredit reihte sich an den anderen, aus den verschiedensten Töpfen wurden Gelder geschöpft, die in wieder andere Töpfe flossen und den Geldkreislauf auf diese Weise in Gang hielten - ein gigantisches Schneeballsystem, mit dem sich der Zusammenbruch des Systems bislang verhindern ließ.

Das führte aber dazu, dass die eingesetzten Summen einen geradezu virtuellen Charakter annahmen. Sie wirkten künstlich, unwirklich, einer anderen Sphäre zugehörig. Umso mehr störten Bedenken und Zweifel - etwa die des deutschen Finanzministers. Er traute und traut dem System nicht. In einer Zeit, in der Staatsschulden so irreal und fern jeder Wirklichkeit wirken wie derzeit, wirken seine Vorbehalte auf einige Europäer seltsam kleinmütig. Und sehr schnell dann auch hartherzig. Als hart hat man die Deutschen in der Geschichte in der Tat kennengelernt. Aber kommen die harten, gar die grausamen Deutschen jetzt wieder? Nein. Viel eher trifft etwas anderes zu: Eine entfesselte Schuldenpolitik gebiert historische Gespenster.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika