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Das EU-Chaos geht weiter

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Robert Schwartz
27. September 2015

Wegen der aktuellen Flüchtlingsfrage droht der Europäischen Union die größte Krise seit ihrer Gründung. Eine Lösung ist auch nach dem Sondergipfel nicht erkennbar, meint Robert Schwartz.

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Serbien Ungarn Grenzübergang bei Rözske
Der von Ungarn seit Tagen abgeriegelte Grenzübergang nach Serbien bei RözskeBild: picture-alliance/dpa/I. Ruzsa

"Noch so ein Sieg und wir sind verloren" mag manch europäischer Politiker nach der Abstimmung der EU-Innenminister über Flüchtlingsquoten nach dem Mehrheitsprinzip gedacht haben. Das ewige Feilschen um die Übernahme der verzweifelten Menschen, die wegen Krieg und Elend ihrer Heimat den Rücken kehren mussten, ist beschämend. Dabei sind die ausgehandelten Zahlen längst Makulatur, wird doch allein in Deutschland mit fünf Mal mehr Flüchtlingen bis zum Jahresende gerechnet. Der hehre europäische Gedanke hat durch die erneute Einigkeit in der Uneinigkeit einen Dämpfer bekommen, dessen Folgen noch niemand voraussagen kann.

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte der EU, dass nationale Interessen der unterschiedlichsten Art die nötige Solidarität der Gemeinschaft sprengen. Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland sind in der Vergangenheit mit gutem Beispiel vorangegangen.

Das Quartett der "Bösen" in Europa

Jetzt sind es vier Neu-Europäer, die sich quer stellen. An der Spitze der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, in dessen Interesse die Quote eigentlich liegen müsste - wird Ungarn nach dem starken Flüchtlings-Zuzug in den vergangenen Monaten doch von der Gemeinschaft entlastet. Polen und die baltischen Staaten hatten als erste lange und laut gegen eine Übernahmequote gewettert. Kurz vor Torschluss vollzogen sie jedoch eine pragmatische Kehrtwende und zählen plötzlich zu den "Guten" in Europa.

Zum Quartett der "Bösen", die gegen die Quote gestimmt haben, gehören - neben Ungarn - noch Rumänien, die Slowakei und Tschechien. Der rumänische Präsident Klaus Iohannis hat damit eine große Chance vertan, sich als überzeugter Europäer zu profilieren. Er zog es stattdessen vor, wegen eines zerbrechlichen Hausfriedens in Bukarest das kleinliche Spiel autochthoner Nationalisten nach Brüssel zu tragen. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico kündigte gar eine Klage gegen den Beschluss vor dem Europäischen Gerichtshof an. Auch sein tschechischer Amtskollege Bohuslaw Sobotka stemmte sich gegen die Quotenregelung, will aber auf eine Klage verzichten. Anders als die Slowakei wollen Tschechien und Rumänien den Beschluss letztendlich aber umsetzen.

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Robert Schwartz leitet die Rumänische Redaktion der DW

Die Angleichung der Lebensverhältnisse steht aus

Ein Argument der "Bösen" muss allerdings in Brüssel akzeptiert werden: Es kann nicht angehen, dass man auf gleiche Standards im Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern drängt, ohne zuvor vergleichbare Lebensverhältnisse für die Bürger in allen Ländern der EU geschaffen zu haben. Zu dem Gesamtpaket, das man hätte schnüren müssen, gehört mit Sicherheit auch die längst fällige gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Zu groß sind die Unterschiede, zu eklatant das Gefälle zwischen den reichen und den armen Staaten im gemeinsamen Haus Europa. Will das alte Kern-Europa eine Akzeptanz seiner Politik in allen EU-Ländern erreichen, muss es die Probleme des kleinen Mannes in den neuen Mitgliedsstaaten genauso ernst nehmen, wie bei der eigenen Bevölkerung.

Schon mit der Griechenland-Krise ist die EU gehörig ins Wanken geraten. Jetzt drängt die Flüchtlingskrise das angeschlagene Gefüge noch näher an den Rand des Abgrunds. Es wäre verantwortungslos, allein die Sicherheit der Außengrenzen und eine massiv aufgestockte Hilfe rund um Syrien in den Mittelpunkt der EU-Politik zu stellen und dabei die Zustände im eigenen Haus zu vernachlässigen. Die Folgen einer solchen Politik sind heute schon erkennbar: Immer mehr Menschen wenden sich von den politischen Eliten ab, Misstrauen und Wut machen sich breit, populistische und extremistische Strömungen werden stärker. Eine Krise der demokratischen Ordnung wäre das Letzte, was die EU jetzt braucht. "Wir schaffen das" - so motiviert Bundeskanzlerin Angela Merkel immer wieder ihre Partner. Aber keiner scheint so richtig zu wissen, wie das klappen soll. Erst recht nicht nach diesem EU-Gipfel. Das europäische Chaos geht in die nächste Runde.

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