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Das Ende eines Märchens

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
16. Oktober 2015

Hat sich Deutschland die Fußball-WM 2006 gekauft? Das legen Informationen des "Spiegel" nahe. Der deutsche Fußball steht vor einem riesigen Skandal. Es ist die Stunde null für den DFB, meint Joscha Weber.

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Symbolbild Sommermärchen
Bild: picture alliance / bild pressehaus

Hach, war das ein Sommer! Die Sonne lachte, Deutschland empfing Fußballfans von allen Kontinenten und die ganze Welt schwärmte von der einzigartigen Atmosphäre in Deutschland. "Die Welt zu Gast bei Freunden" hatte sich Deutschland auf die überall präsenten Fahnen geschrieben. Und das Land hielt tatsächlich Wort: Deutschland beeindruckte seine Gäste mit Offenheit, Freude und Gastfreundschaft. Das deutsche Sommermärchen war geboren.

Dieses Märchen muss in Teilen wohl neu geschrieben werden. Das deutsche Bewerbungskomitee für die WM 2006 führte laut "Spiegel" eine schwarze Kasse, gefüllt mit 13 Millionen D-Mark, um damit vier asiatischen Vertreter im 24-köpfigen Fifa-Exekutivkomitee zu bestechen. Die Wahl endete mit einem 12:11 für Deutschland. Punktlandung. Sollten sich die detaillierten Informationen der gewöhnlich sehr gewissenhaft recherchierenden "Spiegel"-Kollegen bewahrheiten, wäre klar: Ohne die Bestechungsgelder hätte es nie ein deutsches Sommermärchen 2006 gegeben.

Reihenweise wundersame Begebenheiten

Märchen, so heißt es, erzählen von wundersamen Begebenheiten. Und gewundert haben wir uns von Anfang an. Südafrika war eigentlich der Wahl-Favorit, nicht zuletzt beim mächtigen FIFA-Präsidenten Joseph Blatter. Doch der DFB gewann und schon eine halbe Stunde nach der Wahl kursierten Gerüchte über unlautere Mittel der Deutschen. Warum enthielt sich urplötzlich der neuseeländische Delegierte Dempsey der Stimme?

Dazu kamen über die Jahre Hinweise zu verdächtigen Investitionen deutscher Unternehmen wie Mercedes in Südkorea, zu einer Waffenlieferung an Saudi-Arabien - beides Länder, aus denen damals FIFA-Exekutivkomitee-Mitglieder kamen. Spätestens als FIFA-Insider Guido Tognoni in einer deutschen TV-Sendung offen von erheblichen Zweifeln an der WM-Vergabe 2006 sprach, war der Verdacht in der Welt. Sollte er sich nun bestätigen, wäre dies die Stunde null für den Deutschen Fußball-Bund (DFB).

Weber Joscha Kommentarbild App
DW-Sportreporter Joscha Weber

Alles muss auf den Prüfstand. Der heutige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und OK-Chef Franz Beckenbauer sollen von der schwarzen Kasse gewusst haben. Es wäre das Karriereende für Deutschlands Fußball-Chef und die Entzauberung des Fußball-Kaisers. Der Lieblingssport der Deutschen und damit der größte Sportfachverband der Welt stünden vor dem größten Skandal ihrer Geschichte. Nach VW droht also der nächste Fall einer deutschen Ikone.

Dem System FIFA muss ein Ende bereitet werden

Das Wissen um die eigene Leiche im Keller würde die seltsame Zurückhaltung der DFB-Führung im Skandal um die Korruptionsvorwürfe gegen die FIFA- und UEFA-Spitze erklären. Niersbach blieb zuletzt eigenartig wortkarg, wenn es um die Verfehlungen seiner Funktionärs-Kollegen ging. Auch am Donnerstag gab sich der DFB zugeknöpft, war telefonisch nicht erreichbar und versuchte mit einer dünnen Pressemitteilung der "Spiegel"-Veröffentlichung zuvor zu kommen. Ein glaubhaftes Dementi klingt wahrlich anders.

Aber was haben wir auch geglaubt? Ist Bestechung bei der WM-Vergabe an Deutschland wirklich eine Überraschung? Nein, denn bei fast allen Vergaben der vergangenen Jahre gab es Vorwürfe, Indizien oder konkrete Beweise für illegale Methoden. Frei nach dem Motto: Gib uns Deine Stimme und wir werden Dich dafür fürstlich entlohnen. Es offenbart sich ein durch und durch korruptionsverseuchtes System namens FIFA. Diesem System muss jetzt ein Ende bereitet werden. Der Austausch aller verantwortlichen Personen ist unumgänglich. Und das gilt auch für den DFB, sollten sich die Vorwürfe als wahr herausstellen - wovon wir leider ausgehen müssen. Wolfgang Niersbach steht am Abgrund, die Glaubwürdigkeit des DFB scheint dahin. Ein Gefühl aus der Magengegend sagt: Dies ist das Ende des deutschen Sommermärchens. Es war eben doch zu schön, um wahr zu sein.