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Cover-Girl Merkel

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Felix Steiner
9. Dezember 2015

Angela Merkel ist vom Time-Magazine als "Person of the year 2015" ausgezeichnet worden. Die Redaktion in New York ist voll des Lobes über die Politik der Bundeskanzlerin. Felix Steiner sieht vieles kritischer.

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Angela Merkel Person of the Year Time Magazine Ausschnitt
Bild: picture-alliance/AP Photo/Time Magazine

Wissen Sie, wer vom Time-Magazine zur "Person of the year" in den Jahren 1938, 1942 sowie 1979 gekürt worden ist? Oder wer in diesem Jahr den zweiten Platz hinter Angela Merkel belegt? Die Antwort ergibt eine hübsche Galerie verabscheuungswürdiger Personen aus Vergangenheit und Gegenwart: Adolf Hitler, Josef Stalin, Ajatollah Khomeini und Abu Bakr al-Bagdadi, der Anführer der Terrormiliz "Islamischer Staat".

Womit deutlich wird, dass es dem Time-Magazine nicht allein um eine Auszeichnung des Guten, Edlen und Schönen geht. Es werden eben ganz einfach diejenigen gekürt, die nach Wahrnehmung der Time-Redaktion in New York den größten Einfluss auf das Weltgeschehen hatten - im Positiven wie im Negativen.

Die besonderen Werte einer Pfarrerstochter

Natürlich meint die Time-Redaktion, dass Angela Merkel nur Gutes bewirkt habe. Was ja bereits in dem schönen Ehrentitel "Kanzlerin der freien Welt" auf dem aktuellen Heft zum Ausdruck kommt. Ein Titel, der aber andererseits so etwas Herausragendes doch nicht darstellt - ist die Zahl der Staaten, die ihrer Regierungschefin den Titel "Kanzlerin" verleihen, ja eher übersichtlich.

Des Guten nennt die Time-Redaktion gar vieles in ihrem schwülstigen Begründungsschreiben: Von "unerschütterlicher moralischer Führung eines ganzen Kontinents" ist da die Rede - in der Ukraine-Krise, der Euro-Krise, der Aufnahme der zahllosen Flüchtlinge sowie dem Kampf gegen den Terror nach den Anschlägen von Paris. Und vom spezifischen, weil anderen Wertekanon der Pfarrerstochter Merkel ist zu lesen: "Menschlichkeit, Güte und Toleranz." Ob das auch griechische Rentner und Arbeitslose so unterschreiben würden?

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DW-Redakteur Felix Steiner

Am schönsten ist folgende Passage: "Es ist selten, einem Anführer bei dem Prozess zuzusehen, eine alte und quälende Identität abzulegen." Wer da wovon gequält wurde, bleibt leider offen. Vielleicht doch eher eine politisch links stehende Gruppe intellektueller Besserverdiener in einem Land, das so gut wie keine Flüchtlinge aufnimmt? In Deutschland jedenfalls nimmt das Vertrauen der Wähler zu Angela Merkel rapide ab. Und gequält sind vor allem die deutschen Städte und Gemeinden, die immer weitere Flüchtlinge aufnehmen müssen und nicht wissen, wo sie diese unterbringen sollen. Aber wir schaffen das, sagt die Kanzlerin.

Die EU ist gespalten wie nie

Auch vielen europäischen Nachbarn Deutschlands war das "alte", das berechenbare Deutschland weitaus sympathischer, als die Großmacht Merkel'scher Prägung. Ausgleich war nicht die Stärke deutscher EU-Diplomatie in diesem Jahr - nicht in der Griechenland- und schon gar nicht in der Flüchtlingskrise. "Moralischen Imperialismus" wirft Ungarns Premier Orban der Bundeskanzlerin vor und findet immer mehr Verbündete. Doch Angela Merkel beeindruckt die scharfe Kritik an ihrem Kurs ganz augenscheinlich nicht. Im Ergebnis steht die EU als handlungsfähige politische Einheit im Dezember 2015 nur noch auf dem Papier. Sieht so gute Führung aus?

Die Redaktion des Time-Magazines muss das alles nicht kümmern. Dort hat man - siehe oben - ja schon ganz andere zur "Person of the year" gekürt. In New York geht es ganz einfach darum, zum Jahresende ein Heft mit einer guten Auflage zu produzieren. Und eine gewisse Faszination ist dem gesellschaftlichen Großexperiment der Angela Merkel ja nicht abzusprechen. Wenngleich es sich von jenseits des Atlantiks wesentlich entspannter beobachtet, als aus dem Herzen Europas selbst.

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