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Chinas Willkür ausgesetzt

22. Dezember 2015

Pu Zhiqiang ist unschuldig. Das Urteil gegen ihn ist im chinesischen Kontext zwar mild, aber nicht gerecht. Ein Kompromiss für das gesichtswahrende Ende eines PR-Desasters, meint Matthias von Hein.

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China Prozess von Pu Zhiqiang (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/T. Siu

Erleichterung macht sich breit nach dem Urteil gegen Pu Zhiqiang. Der prominente Anwalt muss keine weitere Nacht mehr im Gefängnis verbringen; es hatten ihm bis zu acht Jahren Haft gedroht. Aber auch Zorn macht sich breit. Denn wäre es nach Recht und Gesetz gegangen, Pu hätte gar nicht erst inhaftiert werden dürfen. Jetzt hätte er frei gesprochen werden müssen und eine Kompensation für die 19 Monate Untersuchungshaft erhalten. Der Urteilsspruch "schuldig", verbunden mit drei Jahren Haft auf Bewährung, ist erkennbar der Versuch der Behörden, halbwegs gesichtswahrend den Fall Pu zu Ende zu bringen. Denn der hatte sich zu einer veritablen PR-Katastrophe entwickelt. Zu einer, die das Rechtssystem der VR China miserabel aussehen lässt. Was wiederum den Wirtschaftsstandort China schlecht da stehen lässt.

Als Anwalt lebt man gefährlich

Seit den 1990er Jahren hat China sein unter Mao zerlegtes Rechtssystem auf- und ausgebaut: Es gibt Gesetze, Staatsanwälte, Richter, und ja: auch Rechtsanwälte. Aber als Rechtsanwalt lebt man gefährlich in China - jedenfalls im China von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren geht Xi mit beispielloser Härte gegen alles und alle vor, die er als gefährlich für die Herrschaft von Chinas Kommunistischer Partei und sich selbst ansieht: Korrupte Beamte und politische Widersacher im Apparat, Bürgerrechtsaktivisten, freie Gewerkschaftler und eben auch gegen Anwälte. Die Verhaftung von Pu Zhiqiang im Mai 2014 war nur der Auftakt einer großangelegten Einschüchterungskampagne. Allein in diesem Sommer wurden über 200 Anwälte festgenommen. Rund 20 von ihnen sind noch immer im Gefängnis.

DW-Redakteur Matthias von Hein (Foto: DW)
DW-Redakteur Matthias von Hein

Einschüchterungskampagne

Einschüchterung war wohl auch das Ziel der Verhaftung von Pu. Die Botschaft: Wenn ein nationaler Held und international bekannter Anwalt wie Pu, ein Mann, der noch 2013 von einem chinesischen Wochenmagazin zur einflussreichsten Persönlichkeit zur Förderung des Rechts gewählt wurde, verhaftet werden kann, dann ist niemand vor der Willkür des Staates sicher.

Denn Chinas Kommunistische Partei steht über dem Gesetz. Und wenn sie es für richtig hält, wird das Recht gebogen, gebeugt, geknetet, bis es passt. Zumeist versuchen die chinesischen Behörden dabei, ihrem Vorgehen den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu geben. Beim Verfahren gegen Pu Zhiqiang konnte das nicht gelingen. Die Vorwürfe waren absurd: Angebliche "Streitsucht und Stiften von Unruhe" sowie vermeintliche "Aufstachelung zum ethnischen Hass". Eineinhalb Jahre lang versuchte die Staatsanwaltschaft einen Fall zu konstruieren. Am Ende hatte sie gerade einmal sieben Tweets in der Hand - verfasst in einem Zeitraum von drei Jahren, ausgewählt aus tausenden von Tweets.

Ja, die Tweets waren frech, vielleicht manchmal auch derb in der Sprache. Aber illegal? Einer machte sich lustig über eine Volkskongressabgeordnete, die in 60 Jahren bei keiner einzigen Abstimmung mit "Nein" gestimmt hatte. Ein weiterer kritisierte den Umgang mit einer Zugkatastrophe 2011. Ein anderer sah nach einer tödlichen Terrorattacke von Extremisten aus Xinjiang die Minderheitenpolitik Pekings in der Mitverantwortung für die Bluttat. Nichts, was in diesen Kurznachrichten steht, rechtfertigt auch nur im Entferntesten eine Verurteilung. Es ist gut, dass vergangene Woche Diplomaten aus Deutschland, Kanada und den USA mit öffentlichen Statements vor dem Gerichtsgebäude gegen das Verfahren protestiert haben. Welche Rolle das bei dem vergleichsweise milden Urteil gespielt hat, wird man leider nie erfahren.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein