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Bedenken und Besorgnis

Bernd Riegert26. September 2006

Klassenziel nicht erreicht, trotzdem versetzt: Die EU-Kommission hatte bei der Entscheidung über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens kaum eine Wahl, meint Bernd Riegert in seinem Kommentar.

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"Dennoch gibt es weiterhin einigen Anlass zur Besorgnis." Das ist der mit Abstand am häufigsten verwendete Satz im Bericht der EU-Kommission über Rumänien und Bulgarien. Er steht unter praktisch jedem Kapitel, seien es nun Justizreform, Korruption, organisierte Kriminalität, Menschenhandel, Kinderschutz, Drogenschmuggel oder Verwaltung von Subventionen. Nur bei den wirtschaftlichen Kriterien für den EU-Beitritt können beide Kandidaten einigermaßen mithalten, ansonsten muss man leider sagen: Das Klassenziel wurde trotz einiger Fortschritte nicht erreicht.

Keine Wahl

Trotzdem werden beide Länder wie vereinbart in drei Monaten in den Klub aufgenommen. Warum? Politisch bleibt der EU keine andere Wahl. Den Beitritt um ein Jahr zu verschieben hätte den Reformkräften in Bulgarien und Rumänien den Wind aus den Segeln genommen, denn zum 1. Januar 2008 wären beide Staaten automatisch beigetreten. So legen es die Beitrittsverträge aus dem Jahr 2005 fest. Da liegt der eigentliche Konstruktionsfehler. Den beiden armen Staaten, die zweifellos zu Europa dazu gehören, wurde eine Art Freifahrtschein ausgestellt. Ein Nein aus Brüssel zur Aufnahme jetzt, hätte wahrscheinlich auch zu schweren innenpolitischen Krisen geführt.

Mitglieder zweiter Klasse

Die Schutzklauseln und die Auflagen, die die Kommission androht, sind außer im landwirtschaftlichen Bereich, relativ milde. EU-Kommissar Olli Rehn hatte keine Ambitionen, die Länder unter Brüssler Vormundschaft zu stellen. Es bleibt die Hoffnung, dass die lange Liste gravierender Mängel von Bulgarien und Rumänien nun mehr oder weniger freiwillig abgestellt wird. Die angeblich erweiterungsmüden europäischen Bürger wird das laxe Vorgehen der Kommission nicht sonderlich beeindrucken. Bei der nächsten Erweiterungsrunde, die auf dem westlichen Balkan ansteht, sollte die EU aus ihren Fehlern lernen und den Beitritt erst zulassen, wenn tatsächlich alle Kriterien erfüllt sind.

Zunächst werden Rumänien und Bulgarien Mitgliedsländern zweiter Klasse bleiben, denn ihren Bürger werden Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt, die Gemeinschaftswährung Euro und die vollständige Teilnahme am Binnenmarkt noch über Jahre verwehrt bleiben. Das Schicksal teilen sie mit den Bürgern einiger anderer osteuropäischer Beitrittsländer, deren wirtschaftlicher Abstand zur Alt-EU einfach noch zu groß ist. Die Gefahr besteht, dass der Reformeifer in Bulgarien und Rumänien nach dem feierlichen Zeremoniell am 1. Januar abnehmen wird. Das lässt sich gerade am Beispiel Polen und Ungarn studieren, wo Europaskepsis und lasche Haushaltspolitik zweieinhalb Jahre nach deren Beitritt um sich greifen.