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Auf dem Weg zum Protektorat

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Florian Weigand
16. Oktober 2015

Barack Obamas Entscheidung, die US-Militärpräsenz in Afghanistan zu verlängern, ist richtig. Aber wann können und sollen die USA eigentlich abziehen? Es fehlt eine durchdachte Exit-Strategie, meint Florian Weigand.

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Washington Ghani bei Obama
Afghanistans Präsident Aschraf Ghani zu Besuch bei Barack Obama im Weißen Haus in WashingtonBild: picture-alliance/epa/O. Douliery

Mal ehrlich: So ganz überraschend ist die Erkenntnis nicht, dass Afghanistan die so oft beschworene "Sicherheitsverantwortung" nicht alleine schulten kann. Analysten, Militärs und auch die Afghanen selbst warnen mit schöner Regelmäßigkeit, dass der schrittweise Abzug der westlichen Truppen verfrüht sei und das Land wieder in den Abgrund schlittern würde.

Seitdem der Abzug beschlossen und seit der Jahreswende der Kampfeinsatz beendet wurde, werden Diplomaten und Politiker aber ebenfalls nicht müde zu betonen, dass die Afghanen nun nach über einem Jahrzehnt internationalen Engagements am Hindukusch durchaus in der Lage seien, ihr Land selbst zu stabilisieren. Es bedürfe nur noch einiger militärischer Berater, die in der ISAF-Nachfolgemission "Resolut Support" zeigen, wo es lang geht.

Die gescheiterte Mission

Welche der beiden Faktionen recht hat, lässt sich an der Realität leicht messen: 2015 war das blutigste Jahr seit dem Sturz des Taliban-Regimes vor 14 Jahren. Die Radikalislamisten gewinnen immer neue Gebiete in den Provinzen hinzu - weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, die mit den exotischen Namen entlegener Orte ohnehin nichts verbindet. Es bedurfte also schon eines emotionalen Weckrufs, der den Westen wieder zum Hinschauen zwingt. Für Deutschland war das sicher der Fall des ehemaligen Bundeswehrstandortes Kundus, für ganz Europa die rasant ansteigende Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan und für die USA das Auftauchen des IS auch in dieser Region - ein Spin off des Scheiterns im Irak und eben nun auch am Hindukusch.

Die Volte Obamas in Afghanistan ist daher richtig. Der Westen muss alles tun, um die Region möglichst ruhig zu halten. Dass dabei moralische Beweggründe angesichts des Leids der Afghanen nur eine untergeordnete Rolle gegenüber den eigenen Sicherheitsinteressen und der Stimmungslage in der Wählerschaft daheim spielt, mag der Moralist beklagen, liegt aber im Wesen der Realpolitik. Auch deswegen kommt Obamas Entscheidung spät. Die Schreckensmeldungen aus Afghanistan mussten zuerst einmal den emotionalen Marktplatz bereiten, auf dem er seinen Entschluss in den USA verkaufen konnte.

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Florian Weigand leitet die DW-Redaktionen für Afghanistan

Was kommt aber nun? Bei der Verlängerung der Militärpräsenz in Afghanistan ist eine umfassende Strategie bisher nicht erkennbar. Wir erinnern uns: Der ISAF-Militäreinsatz bis 2014 war immer verbunden mit den Aufbau des Landes, einer funktionierenden Demokratie und effektiver Sicherheitskräfte - diese Dreiheit sollte dafür sorgen, dass Terroristen keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen und die Afghanen selbstbestimmt leben können. Doch keines der Ziele wurde erreicht.

Regierung völlig abhängig vom Schutz des Westens

Jetzt kommt es noch schlimmer: Solche Ziele werden mit der Verlängerung des Einsatzes erst gar nicht mehr formuliert. So bleibt in Kabul eine Regierung übrig, die nur mit der Unterstützung des Westens überleben kann, sich in symbolischer Demokratie und Souveränität übt, sich aber real in voller Abhängigkeit von außen befindet. Mit dieser Perspektive schlittert das Land zurück in ein koloniales und somit anachronistisches Konstrukt: Faktisch wird Afghanistan zu einem Protektorat.

Es spielt dabei keine Rolle, ob die USA alleine oder im Verein mit der NATO und mit dem Segen der UN das Zepter schwingt: Ohne erneute Anstrengungen im Staataufbau, einem ernsthaften Dialog mit den Nachbarstaaten Pakistan und Iran und einer klaren Definition, wann die Mission erfüllt ist, wird dauerhafter Frieden nicht zu erreichen sein. Denn eines ist klar: In einem Protektorat will auch der liberalste Afghane nicht leben.

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