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Kokswerk auf Wanderschaft

Julia Elvers16. September 2003

Ein Kapitel der deutschen Schwerindustrie neigt sich dem Ende zu. Im Ruhrgebiet werden ganze Stahl-Werke zerlegt und nach China transportiert, um dort wieder Koks und Stahl zu produzieren.

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Shanghai statt Dortmund: Hochöfen aus zweiter HandBild: AP

Um Punkt 12 Uhr lassen die knapp 300 Chinesen das Werkzeug fallen und strömen zu den Containern, in denen chinesische Köche in riesigen Woks das Mittagessen kochen. Im Hintergrund läuft über Satellit chinesisches Fernsehen. Seit drei Wochen sind die Arbeiter dabei, die Kokerei auf dem Gelände der Westfalenhütte auseinanderzunehmen, um sie später in China in der Provinz Shandong wieder zu errichten.

Arbeit geht schneller voran als geplant

Eineinhalb Jahre waren ursprünglich für den Abbau vorgesehen. Doch die chinesischen Monteure arbeiten so schnell, dass sie voraussichtlich schon in sieben Monaten fertig sein werden. Das liegt auch an der für deutsche Verhältnisse langen Arbeitszeiten: zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. "Am freien Tag müssen wir mal ausruhen. Aber manchmal machen wir einen kleinen Ausflug irgendwohin, ins Zentrum von Dortmund beispielsweise", berichtet der Dolmetscher Zhong Wei. Ein bisschen Heimweh ist auch dabei, aber Zhong Wei beteuert, dass es seine Kollegen gewohnt sind, lange auf Baustellen zu arbeiten und nur selten nach Hause zu kommen.

Zuvor war bereits in einem noch größeren Kraftakt die größte Demontage der Industriegeschichte abgeschlossen worden: 1000 Chinesen zerlegten in Dortmund das Thyssen-Krupp-Stahlwerk und transportierten es nach China. Dort wird es in der Nähe von Shanghai wieder aufgebaut.

Umweltfreundlich

Bei der Kokerei Kaiserstuhl handelt es sich um die modernste und umweltfreundlichste Anlage in Europa. Nach nur acht Betriebsjahren wurde sie Ende 2000 stillgelegt - unrentabel nach der Schließung der Hochöfen im Dortmunder Raum. Die Deutsche Steinkohle AG verkaufte die Kokerei an die Famous Industrial Group - die wiederum an die chinesische Yankuang Group, den größten staatlichen Bergbaukonzern. Über den Verkaufspreis bewahrt Projektleiter Mo Lishi Stillschweigen. "Diese Kokerei ist - was den Ofen betrifft - größer als die Öfen, die es bisher in China gibt", betont er aber die Bedeutung des Werks. Was den Umweltschutz angeht, werde hier in Deutschland mehr investiert als anderswo. "Die Inbetriebnahme wird unsere Koksherstellung einen großen Schritt voranbringen", so Lishi.

Den Abbau organisiert der chinesische Käufer - die Einhaltung der Sicherheitsstandards überwachen deutsche Spezialisten. In China wird die Kokerei nach ihrem Wiederaufbau die größte ihrer Art sein. Und sie soll helfen, die Kohleindustrie in dem Land mit der weltweit größten Kohleförderung und erheblichen Umweltproblemen zu modernisieren.

Wachsender Bedarf

"Mit der gesellschaftlichen Entwicklung wird auch die Wirtschaft immer stärker", erläutert der Projektleiter. Der Bedarf an Schwerindustrie wachse, immer mehr Stahl werde benötigt. "Dafür wiederum brauchen wir Koks, denn ohne Koks kann man keinen Stahl schmelzen. Der weltweite Stahl-Bedarf ist schon jetzt sehr groß." Die Statistiken zeigen, dass 2001 und 2002 weltweit ein Mangel von zehn Millionen Tonnen Koks herrschte. Genau diesen Bedarf will die Yankuang-Group decken. Dabei kommt es ihr entgegen, dass die Anlage hohe Umweltstandards erfüllt, da auch in China die Frage des Umweltschutzes langsam an Bedeutung gewinnt.