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50 Jahre Musikkassette

Conny Paul28. August 2013

Auf der Internationalen Funkausstellung 1963 wurde sie als Wunderwerk der Audiotechnik vorgestellt. Vom Diktat bis zum Musik-Mixtape - alles Mögliche sollte man mit ihr anstellen können. Ein Blick in die Geschichte.

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Bonbonfarbene Kassetten der Pop-Ära (frühe 1970er Jahre) liegen nebeneinander (Foto:picture alliance / Maximilian Schönherr)
Bild: picture alliance / Maximilian Schönherr

Wir erinnern uns: Die kleine Tonband-Kassette gab es in der Länge von 60, 90 und 120 Minuten. Klavierklänge jaulten mal mehr, mal weniger stark wegen der Gleichlaufschwankungen. Die Aufnahmen rauschten, selbst mit einem speziellen Unterdrückungssystem im Kassettengerät. Und da war auch noch der so genannte Bandsalat, der hin und wieder beim Spulen entstand. Man zog die Kassette mit dem herausgelaufenen Band aus dem Schacht. War das gelungen, ohne das dünne Band zu zerreißen, konnte man das Tape mit einer Bleistiftspitze wieder aufwickeln.

Verglichen mit der Qualität und dem Komfort des heutigen MP3-Formats ist es eigentlich unvorstellbar, dass sich die Musikkassette zum Kultteil entwickelt hat. Bis heute gibt es beispielsweise Mixtape-Partys, wo man sich gegenseitig seine selbst zusammengestellten Lieblingsmusiken vorspielt. Allerdings sind heute neue Kassetten Mangelware und heiß begehrt.

Kassette mit dem typischen Bandsalat(Foto: Fotolia/bramgino)
Modell "Bandsalat"Bild: Fotolia/bramgino

Ungeahnte neue Möglichkeiten

Ohne Papa und dessen Grundig-Tonbandgerät konnte man endlich nicht-spießige Musik aus dem Radio aufnehmen, die dem Geschmack eines Jugendlichen entsprachen. Man konnte den Ton von Fernsehsendungen mitschneiden – wie viele es bei der Ausstrahlung der zotigen Serie "Ein Herz und eine Seele" aus den 1970ern machten. Oder man konnte selbst Hörspiele produzieren, wie sich der Autor des Buches "Kassettendeck" und Journalist Jan Drees im Gespräch mit der DW erinnert. Seine C90-Kassetten hätte er als Jugendlicher allerdings nicht selbst gekauft, erzählt er, sondern seinem Vater aus dem Phono-Schrank gemopst. Auch das Erstellen von Mixtapes hat er von seinem Vater abgeschaut. Der hatte früher Oldies aus Radio-Sendungen zusammengestellt und archiviert.

"Home taping is killing music"

Ghettoblaster - ein Radiorekorder (Foto: Fotolia/dan talson)
Der Ghettoblaster - sehr beliebt bis in die 90erBild: Fotolia/dan talson

Die GEMA, die deutschen Oberhüter des Musik-Urheberrechts, stuften die neue einfache Möglichkeit der Vervielfältigung als "Räuberei" ein, weil dabei keine Gebühren gezahlt wurden, die sie an ihre Komponisten und Texter hätte verteilen können. Jens Drees erzählt: "Die GEMA hatte es schließlich 1985 geschafft, dass beim Kauf einer 60-Minuten-Leerkassette 19 Pfennige abgeführt werden mussten, die dann an die Urheber ausgeschüttet werden konnten." Drees betont, es sei nicht richtig, dass durch die private Vervielfältigung von Musik automatisch auch weniger Musik-Tonträger gekauft werden. Allerdings fordern deutsche Bands wie Die Ärzte und Die Toten Hosen, oder die Newcomer aus der Eifel Jupiter Jones - über diese Leertonträgerabgabe hinaus - auch noch Geld von Internetplattformen wie Google und Myspace. Die GEMA wird sich also weiterhin um die neuen Medien" kümmern.

Unterschiede in Ost und West

Der Autor Jens Drees hat bei den Recherchen zu seinem Buch herausgefunden, dass nicht nur die technische Qualität der Musikkassetten in der Bundesrepublik deutlich besser war als in der DDR. "In der DDR war es relativ schwer, an gute Kassetten zu kommen. Sie hatten dort aber auch eine andere Bedeutung als hier. Der Staat hatte sie stark limitiert und hatte geradezu Angst vor der Kraft der Kassette. Denn Bands hatten auf einmal die Möglichkeit, selbst ihre Alben aufzunehmen und zu vervielfältigen.

In den 1980er Jahren gab es nur zwei Labels in der DDR und Kulturfunktionäre haben bestimmt, was veröffentlicht werden konnte. Punkbands oder Freejazzer waren auf einmal unabhängig." Darüber hinaus konnten jetzt Fans in der DDR die Musik ihrer Helden im West-Radio aufnehmen. "In den Achtzigern gab es in Ost-Berlin viele Partys, auf denen West-Musik gespielt wurde", berichtet Jan Drees.

Portrait von Jan Drees(Foto: Oliver Weckbrodt)
Kennt sich aus: Autor Jan DreesBild: Oliver Weckbrodt

Der Kult und die Kunst

Inzwischen stehen die meisten Kassettengeräte unbenutzt irgendwo herum und an den kleinen Tonbändern hat der Zahn der Zeit genagt. Dennoch – es gibt auch heute zahlreiche Fans der 50 Jahre alten Kompakttkassette. Es hat sich eine Art Subkultur-Szene gebildet. Auch die Armbanduhren aus den 1970ern mit Flüssigkristallanzeige erleben derzeit eine Renaissance. Gerade im Indie-Musikbereich gäbe sehr viel Partys, so Drees.

"Die Indie-Partys lehnen sich schon allein vom Namen her stark an die Kassette an. Mixtapes werden zum Beispiel für das Melt!-Festival bei Dessau in Sachen-Anhalt angefertigt. Vor zwei Jahren hat der DJ Christian Vorbau – mit ihm habe ich für mein Buch zusammengearbeitet – für das Melt!-Festival ein Mixtape angefertigt, das man sich irritierender Weise von deren Seite herunterladen konnte."

Es gibt als Kassette gestaltete Hüllen fürs Smartphone, es gibt Sticker oder T-Shirts mit Kassetten. "Die Kassette hat aber auch als Kunstobjekt überlebt", sagt Autor Drees und erwähnt Gregor Hildebrandt. "Der Künstler hat aus alten Kassettenbändern gigantische Werke geschaffen. Sie werden weltweit ausgestellt und auch gekauft. Leute wie die Beastie Boys sind Fans von Gregor Hildebrandt und sie schätzen sehr, was dieser Berliner mit den Kassetten anstellt." Demnächst erscheinen zwei Bücher, die sich mit dem kultigen Tonträger beschäftigen.

Kassettenhülle für das iPhone (Foto: thumbsUp!)
Retro Trend im HightechBild: thumbsUp!

Die Kassette und der Kommerz

Bis vor ein paar Jahren gab es noch Hörbücher auf Kompaktkassette zu kaufen. Schöne Geschichten für Kinder. Das dicke Geld scheint damit nicht mehr machbar zu sein. Die Goldenen Zeiten der Musikkassette sind längst vorbei. Deutschlands ESC-Siegerin Lena vermisst in ihrem Song "My Cassette Player" ihr altes Kassettengerät und will es unbedingt zurück haben. Musikalisch wie wirtschaftlich ist dieses Lied eher unbedeutsam. Was bleibt ist eine kleine Szene, die sich über gelegentlichen Bandsalat und permanentes Rauschen freut.