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Musik

Klassik lebt – ziemlich gut beim ECHO Klassik

Rick Fulker
30. Oktober 2017

Der Klassik-Industrie geht es gut, so der Grundtenor beim ECHO Klassik, Deutschlands renommiertester Preiszeremonie für klassische Musik. Bei der Gala gab es bewegende Momente - auch für die DW.

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Joyce DiDonato
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

"Der Klassikbetrieb steht vor einer Trendwende", sagte Thomas Gottschalk, den deutsche Fernsehzuschauer längst kennen. Er wies auf die 18,2 Millionen Konzert- und Opernbesucher im Lande im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Die Spiele der Bundesliga besuchten "nur" 13,2 Millionen. Gottschalk scherzte, dass er als Moderator der ECHO Klassik-Preisverleihungs-Gala endlich mal die Hamburger Elbphilharmonie von innen sehen durfte, denn im Regelbetrieb seien "innerhalb meiner Lebenserwartung" keine Eintritte mehr bei der stets ausverkauften Konzertstätte erhältlich. 

Beim ECHO Klassik feiert die Musikindustrie sich selbst; in der Jury sitzen hauptsächlich Vertreter der großen Plattenfirmen. Daher überrascht es nicht, dass die Sparte "Bestseller des Jahres" als erste angesagt war. Die Ehre ging Jonas Kaufmann zu; es ist sein achter ECHO im Laufe der Jahre. Prämiert wurde der deutsche Tenor wegen einer CD mit populären italienischen Liedern.

DW-Doku dabei

Zu den 22 Kategorien gehören auch ein Preis für Nachwuchsförderung und für Musik-Dokumentation. Letztere ging an einen Film, der das Aufeinanderprallen zweier Musikwelten im ehrwürdigen Wiener Musikverein zeigt. Letztendlich kommen die beiden Welten des chinesischen Pianisten Lang Lang und des österreichischen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zusammen bei der Erarbeitung zweier Klavierkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart. Der DW-Regisseur Christian Berger nahm den ECHO Klassik für "Mission Mozart" entgegen, zusammen mit dem Produzenten Bernhard Fleischer. Der Projektleiter des Films war Rolf Rische, Leiter der DW-Hauptabteilung Kultur und Leben.

Mission Mozart
Produzent Bernhard Fleischer, Redakteur Christian Berger und Rolf Rische, Leiter der DW-Hauptabteilung Kultur und LebenBild: DW/P.Limbourg

Wann ist die Lebensleistung erbracht?

In vergangenen Jahren wurde die Show durch die längst bekannten Gesichter, die immer wieder ihre Preise abholten, fast monoton. Diesmal gab es durchaus Variationen zum Thema. Im Jahr 2002 erhielt beispielsweise der italienische Pianist Mauricio Pollini die Auszeichnung für die Lebensleistung, später gewann er in der Sparte "Soloaufnahme". 2017 erhält er einen weiteren ECHO in dieser Kategorie und zeigt, dass die Lebensleistung keinesfalls rückwärts gewandt werden muss. "Seit über 50 Jahren verleiht er Musikwerken neues Leben", heißt es von der Jury. Das bewies Pollini dann, in dem er eine vollständig ausgereifte und wohlüberlegte, dennoch packende Darbietung einer Nocturne von Frédéric Chopin zum Besten gab.

Die diesjährige Auszeichnung für die Lebensleistung erhielt eine Frau, die als Opernsolistin, Regisseurin, Autorin und Pädagogin fast jede Seite des Musikbetriebs erlebt und bereichert hat. Brigitte Fassbaender, deren Opernlaufbahn vor Jahrzehnten zu Ende war, bedankte sich zunächst mit den Worten, "Keine Sorge, ich werde nicht singen." Dann sah man ihr für einen kurzen Augenblick die Rührung an, während sie die Trophäe hochhielt.  

ECHO KLASSIK  2017 Maurizio Pollini
Chopin ist einer der wichtigsten Komponisten in Maurizio Pollinis KarriereBild: ZDF und Schnitger

Der Versuch, ein junges Publikum zu gewinnen

Für die Online-Übertragung führte Sarah Willis Backstage-Interviews mit Preisträgern. DW-Fernsehzuschauer kennen die Hornistin der Berliner Philharmoniker als Moderatorin der Sendung "Sarah's Music". User konnten wahlweise die Sendung im Fernsehen oder in einem 360-Grad Stream verfolgen. Fast schien es, als ob sich die Programmmacher alles Erdenkliche ausgedacht haben, um Abwechslung zu bieten: Da Stile und Ästhetiken von klassischen Werken zu unterschiedlich sind, um ein breites Publikums zu bändigen, wurde alles unternommen, die musikalischen Einlagen attraktiv zu präsentieren.

Dabei halfen einige sensationelle junge Talente wie Aida Garifulina, die in der Sparte "Solistische Einspielung/Gesang" einen Preis gewann. "Worte können nicht ausdrücken, was wir beim Erleben der Musik hören und empfinden können", hieß es in der Jury bei der Bewertung des Gesangs der 30-jährigen russischen Sopranistin. Das belegte sie dann in der Show mit einer glasklaren und rührenden Darbietung einer Aria aus Giacomo Puccinis Oper "Gianni Schicchi."

ECHO KLASSIK  2017 Aida Garifullina, Thomas Gottschalk und Pretty Yende
Aida Garifullina (l.), Thomas Gottschalk und Pretty Yende (r.)Bild: ZDF und Schnitger

Nach Garifulina sang die Nachwuchskünstlerin des Jahres, eine 32-jährige Sopranistin aus Südafrika, die, so die "Washington Post", mit einer Stimme gesegnet ist, "die bis zu den Sternen reichen kann". Pretty Yende hatte ihre erste Begegnung mit der Opernwelt im Alter von 16 Jahren. In den weiteren 16 Jahren danach hat sie manche Triumphe gefeiert, auch einen Preis bei den diesjährigen "International Opera Awards" in London. Yende setzte ihre robuste Simme bei der Arie "Je veux vivre" aus Charles Gounods Oper "Romeo i Julia" ein.

Dann traten beide junge Sängerinnen als Duett auf und sangen "Tonight" aus Leonard Bernsteins "West Side Story." Eine lebhaftere Darstellung der Gesangskunst kann man sich kaum vorstellen.

Ein weiterer Spätzünder in der Branche ist der französische Pianist Lucas Debargue. Neulich feierte er seinen 27. Geburtstag, er erhielt jedoch seinen ersten regulären Klavierunterricht erst mit 20 Jahren. Davor war er ein Autodidakt und spielte vorwiegend Jazz und Rock. Bei der Gala entfesselte er eine spannende Improvisation auf Martin Luthers Choral "Ein feste Burg", die alles von atonalen Strecken über Jazz bis Ragtime aufbot. Man fragt sich: Wenn er viel früher in den Genuss von Klavierstunden gekommen wäre, wäre er heute so originell?

Ein leidenschaftliches Plädoyer 

In einer weiteren ungewöhnlichen Darbietung gaben zwei Preisträgerinnen – die französische Cellistin Camille Thomas und die lettische Akkordeonistin Ksenija Sidorova – ein verschrobenes Arrangement von Melodien aus Bizets "Carmen" wieder. Als es schien, dass der Abend in eine Aneinanderreihung von Gimmicks ausarten würde, kam Joyce DiDonato.

ECHO KLASSIK  2017 Joyce DiDonato
Joyce DiDonato sei eine großartige Geschichtenerzählerin, sagte die deutsche Schauspielerin Meret Becker, bevor sie den ECHO überreichteBild: ZDF und Schnitger

Als Antwort auf die Terrorangriffe am 13. November 2015 in Paris hatte die amerikanische Mezzosopranistin das Album "In War & Peace" aufgenommen. In Anerkennung dieser "Maßstab setzende" Produktion vergab ihr die ECHO-Jury die Auszeichnung "Sängerin des Jahres". Für das Publikum bei der Hamburger Gala sang sie dann die Sterbensarie "Wenn I am laid in earth" aus der Oper "Dido and Aeneas" von Henry Purcell. Danach sprach sie, Tränen überströmt, Künstler in aller Welt an, appelierte an sie, "lauter und leidenschaftlicher zu singen und zu spielen, denn das ist das Einzige, das Sinn macht". Auch im Publikum sah man viele Tränen.

Während das Orchester des Jahres (das Boston Symphony Orchestra) und sein Chefdirigent Andris Nelsons auf dem nordamerikanischen Kontinent weilten, war der Dirigent des Jahres, der Hamburger Generalmusikdirektor Kent Nagano, vor Ort und lieferte mit dem Hamburgischen Staatsorchester einige musikalische Einlagen des Abends. 

Alle Musikeinspielungen des Gala-Abends sind auf einer Doppel-CD zu hören. Eine Liste der 54 Preisträger des ECHO Klassik 2017 finden Sie hier.