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Kirgisistan in der Dauerkrise

Mathias Bölinger12. Mai 2006

Ein Jahr nach der "Tulpenrevolution" befindet sich Kirgisistan in einer politischen Dauerkrise. Präsident und Parlament liefern sich einen Machtkampf und die organisierte Kriminalität gewinnt immer mehr Einfluss.

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Zeitungsleser in Bischkek. Auf dem Titel ist der Präsident.Bild: AP

Zumindest an Streitlust und Ausdrucksstärke hat die kirgisische Politik im letzten Jahr deutlich gewonnen. Ein schönes Beispiel dafür lieferte vor einiger Zeit der mittlerweile zurückgetretene Parlamentspräsident Tekebajew, als er den Staatspräsidenten eine Lachnummer nannte. Der Präsident habe sich in einen Hund verwandelt, diagnostizierte Tekebajew und empfahl eine radikale Lösung: Wenn er noch ein Mann sei, solle der Präsident sich doch bitte aufhängen.

Karte Zentralasien Kirgistan Hauptstadt Bischkek Quelle: DW-WORLD

Das Tandem der Tulpenrevolution

Im März 2005 stürmen nach wochenlangen Protesten gegen gefälschte Parlamentswahlen Demonstranten den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Bischkek. Der damalige Präsident Akajew muss nach Moskau fliehen. Sein Nachfolger Bakiew ist Geschäftsmann und war unter Akajew kurz Premierminister. Er schliesst sich mit seinem Hauptkonkurrenten Feliks Kulow zusammen, der als der eigentliche starke Mann hinter den Ereignissen gilt. Das Tandem werden sie in Kirgisistan genannt: Der Geschäftsmann Bakiew aus dem vernachlässigten Süden des Landes und der ehemalige Geheimdienstchef Kulow aus dem Norden. Bakiew verspricht, Kulow zum Premier zu machen und wird mit geradezu sowjetischen 89 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt.

Kirgisistan Demonstranten in Bischkek Auto
24. März 2005: In Bischkek stürmen Demonstranten den Präsidentenpalast.Bild: AP

Doch in den Nachwirren der sogenannten Tulpen-Revolution wittern noch andere Kräfte ihre Chance: Das kriminelle Milieu nutzt die Gunst der Stunde, um offene Rechnungen zu begleichen. Nacheinander werden drei Abgeordnete ermordet, einer davon direkt im Gefängnis. Allen dreien wurden Kontakte in die organisierte Kriminalität nachgesagt. In Nachwahlen zu den freigewordenen Sitzen setzt sich dann ein landesweit bekannter Mafiaboss durch. Die Machtkämpfe scheinen auch das weiße Haus zu erreichen, den Präsidentenpalast in Bischkek. Im September 2005 entlässt Präsident Bakiew den Generalstaatsanwalt, der verbittert Bilanz zieht. Man habe ihn mehrmals ins weiße Haus eingeladen und gebeten, bestimmte Fälle fallenzulassen: "Es gab immer mehr Druck. Auch von hohen Beamten. Sie hatten die Aufgabe, mich auszuschalten. Und das Resultat war, dass die gewonnen haben, die dem weißen Haus näher stehen."

"Der Staat steht vor dem Zusammenbruch."

Wahlen in Kirgisistan Plakat
89 Prozent der Stimmen: Wahlplakat für BakiewBild: AP

Präsident und Premier demonstrieren weiter ihre Einheit, doch dass in der Regierung ein Machtkampf stattfindet können sie kaum verbergen. Im Januar fordert der Premier schließlich die Absetzung des Geheimdienstchefs, dem er Versagen vorwirft. In einer hitzigen Parlamentsdebatte schließen sich die meisten Abgeordneten dem Premier an und attackieren den Geheimdienstchef: "Den Kampf um die Macht, den führen Sie schon sehr lange. Aber wir reden hier von etwas anderem. Hier geht es darum, dass die Gesellschaft am Abgrund steht, dass der Staat vor dem Zusammenbruch steht", warnt der Abgeordnete Kubatbek Baibolow.

Der gescholtene Geheimdienstchef muss zugeben, mit dem Präsidenten verwandt zu sein. Und der wiederum sieht sich zu einer wütenden Antwort an das Parlament veranlasst: "Hört auf, das Gesetz zu brechen. Hört mit euren Geschäften auf, mit den legalen und den illegalen. Hört auf, den Kampf gegen eure Konkurrenten mit Hilfe eurer Vollmachten als Abgeordnete zu führen. Und dann schlaft ruhig weiter."

"Nicht das moralische Recht zu regieren"

Doch dazu dürften die Abgeordneten kaum kommen. Unterstützt von Demonstranten, die den Rücktritt des Präsidenten fordern, kritisierten sie kürzlich die Regierung so heftig, dass alle 16 Mitglieder der Regierung ihren Rücktritt erklärten. "Nach dieser unbefriedigenden Auswertung des Parlaments haben wir nicht das moralische Recht auf unseren Posten zu bleiben", verkündete der stellvertretende Ministerpräsident Adachan Madumarow. Der Präsident sieht das anders. Die Regierung solle weiterarbeiten, er könne ja stattdessen das Parlament auflösen.