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Im Kino: "Marie Curie"

Bernd Sobolla
2. Dezember 2016

Filmbiografien sind eigentlich immer in: Werke über Musiker, Künstler oder Politiker. Wissenschaftler werden nur selten porträtiert: Marie Curie, die erste Frau, die den Nobelpreis gewann, ist eine Ausnahme.

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Filmstill Marie Curie
Bild: P'Artisan Filmproduktion

Wenn Produzenten auf Nummer sicher gehen wollen, setzen sie entweder auf Roman-Bestseller oder auf Biopics, wie Filmbiografien auch genannt werden. Aktuell zieht politisch Interessierte der "Snowden"-Film in die Kinos, das Bildungsbürgertum empfiehlt (leider) "Meine Zeit mit Cézanne". Und der gerade gestartete "Florence Foster Jenkins" - er schildert das Leben der untalentierten gleichnamigen Opernsängerin Anfang des 20. Jahrhunderts - dürfte ebenfalls die Kinokassen klingen lassen, die skurrile Story mit Edelbesetzung (Meryl Streep und Hugh Grant) wird sicherlich dafür sorgen.

Betörende Hauptdarstellerin: Karolina Gruszka

Biopics über Wissenschaftler hingegen haben es schwer, über die Entwicklungsphase hinauszukommen. Forscher, die im Labor Tests durchführen oder Zahlen aneinanderreihen, geben visuell wenig her, drohen also im Kino zu floppen. Umso spannender ist es, wie die Filmemacherin Marie Noëlle in der französisch-polnisch-deutschen Koproduktion dieses Problem löst: Mit Sinnlichkeit, zurückhaltenden Dialogen und einer betörend anziehenden Hauptdarstellerin, der Polin Karolina Gruszka. 

Filmstill Marie Curie
Im Labor: Marie Curie (Karolina Gruszka)Bild: P'Artisan Filmproduktion

Paris 1904: Marie Curie arbeitet hochschwanger im Forschungslabor, das sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre leitet, als bei ihr die Wehen einsetzen. Mit 37 Jahren bringt sie ihre zweite Tochter Eve zur Welt. Ein Jahr zuvor hatte die Schwedische Akademie der Wissenschaften dem Ehepaar für die Entdeckung der Radioaktivität den Nobelpreis für Physik verliehen, den die beiden aus beruflichen Gründen aber erst 1905 in Stockholm entgegennehmen können.

Ein tragischer Unfall zerschneidet das Leben Curies

Trotz der internationalen Anerkennung muss das Forscher-Paar weiterhin in einem zum Labor umfunktionierten Schuppen arbeiten. Dort entwickeln sie ihre Radium-Krebstherapie, mit dem Ziel, Tausende von Krebskranken zu retten. Doch ehe sie entscheidend weiter kommen, verliert Marie ihren geliebten Lebenspartner im April 1906 durch einen tragischen Unfall.

Es folgt eine Zeit der Trauer, in der Marie dennoch ihre Forschungen weiter verfolgt. Als die Universität Pierres Lehrstuhl für allgemeine Physik Marie Curie überträgt, ist sie die erste Frau, die an der Sorbonne lehrt (1906). Im Labor gelingt es, das von ihr entdeckte chemische Element Radium zu isolieren. Ein wissenschaftlicher Durchbruch, von dem sie sofort ihrem Assistenten Paul Langevin erzählt.

Filmstill Marie Curie
Forscht und arbeitet in beengten VerhältnissenBild: P'Artisan Filmproduktion

Treffen mit Einstein

Paul überredet sie, als einzige Frau an einer Konferenz der bedeutendsten Physiker der Welt teilzunehmen. Unter ihnen ist auch Albert Einstein. Der berühmte Forscher bringt sie zum Lachen, als er ihr gesteht: "Ich nehme nur an dem Treffen teil, um mit Ihnen über meine Forschungsergebnisse zu sprechen."

In der Folge will Marie ein Radium-Institut gründen, in dem Forscher und Ärzte gemeinsam arbeiten. Ein entscheidender Schritt dazu wäre ihre Aufnahme in die "Académie des Sciences". Doch sie wird abgelehnt. Zugleich kommen sich Marie Curie und Paul Langevin immer näher. Aber Paul hat vier Kinder und ist in einer unglücklichen Ehe gefangen. Dennoch lassen sich beide auf eine Liebesbeziehung ein.

Vom Star zur "polnischen Hure"

Als Pauls Frau davon erfährt, informiert sie die Boulevard-Presse. Just zu diesem Zeitpunkt (1911) will die Schwedische Akademie die Wissenschaftlerin zum zweiten Mal mit dem Nobelpreis ehren, diesmal für Chemie. Doch plötzlich gerät die Wissenschaft in den Hintergrund. Für die Boulevardpresse ist Marie Curie eine "polnische Hure", die bereit ist, eine französische Familie zu zerstören.

Filmstill Marie Curie
Am Strand mit Albert Einstein (Piotr Glowacki, M.) und Gustave Téry (Samule Finzi)Bild: P'Artisan Filmproduktion

Regisseurin Marie Noëlle umschifft stilsicher alle verführerischen Regie-Fallen und inszeniert "Marie Curie" weder als Liebesdrama noch als Emanzipations-Story. Marie Curie ist - im Leben wie jetzt auch im Film - in erster Linie Wissenschaftlerin mit einem freien Geist. Öffentliche Auftritte sind ihr unangenehm, Erfolge feiert sie zurückhaltend.

Marie und die Zylinder-Männer

Keineswegs verzichtet die Regisseurin auf Aufnahmen aus dem Laboralltag. Aber sie und ihr Kameramann Michal Englert komponieren jedes Bild visuell so verlockend, dass man als Zuschauer fast einem Bilderrausch verfällt: Wenn Marie einfach nur auf dem Boden sitzt und Mirabellen isst, erinnert das an Gemälde von Vermeer. Und wenn die Physiker-Elite einen Spaziergang am Strand unternimmt, alle in Schwarz und mit Melone bzw. Zylinderhut gekleidet, bietet der Film auch skurrile Momente.

Experimentelles Schulsystem

"Von Anfang an wollte ich mit dem Klischee aufräumen, dass Wissenschaft etwas Dröges ist", erläutert Marie Noëlle. "Auch die Bilder im Labor sollten sehr sinnlich sein. Forscher, die fasziniert sind von den Rätseln des Lebens, strahlen in dem, was sie tun, auch Liebe aus."

Filmstill Marie Curie
Mit Paul Langevin (Arieh Worthalter)Bild: P'Artisan Filmproduktion

Die Regisseurin schildert das bewegte Leben der Nobelpreisträgerin, wobei sie sich auf die Jahre zwischen den Preis-Verleihungen konzentriert. Und fast nebenbei schildert sie, wie Marie Curie ein Schulsystem entwickelt, in dem es nicht ums Auswendiglernen geht, sondern um Kunst, Bewegung und experimentelles Forschen.

Mäzen und Borniertheit

Nicht zuletzt macht der Film klar, dass selbst große Wissenschaftler Probleme haben, Forschungsgelder zu erhalten: Mäzene müssen hofiert werden, Akademiemitglieder demonstrieren ihre Borniertheit: Angesichts des Skandals, den die sogenannte "Langevin-Affäre" auslöst, wird Marie Curie bedrängt, auf den Nobelpreis zu verzichten. Sie weist das Ansinnen jedoch zurück: "Würde man alle männlichen Kollegen ausladen, die eine Affäre haben, dann käme kaum eine Nobelpreisverleihung überhaupt zustande!"

Ein sehr empfehlenswerter Film, der Konventionen in Frage stellt, den freien Geist feiert und noch heute gesellschaftliche Debatten anstoßen kann.