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Kino zwischen Kultur und Kommerz

Henrik Hübschen29. Dezember 2003

Ein ganz normales Produkt oder ein schützenswertes Kulturgut? Die EU will den europäischen Film jedenfalls weiter fördern. Notfalls gegen den Willen der Welthandelsorganisation.

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Der europäische Film findet nicht oft ein großes PublikumBild: illuscope

Ginge es nach dem Willen der Europäischen Union, dann würde der Filmhandel nicht unter das Reglement der Welthandelsorganisation (WTO) fallen, sondern unter das Washingtoner Artenschutzabkommen. Denn der europäische Film ist ein ernsthaft bedrohtes Wesen: Zwei Drittel der Filme in europäischen Kinos sind "made in Hollywood".

Das verbleibende Drittel reicht kaum zum Überleben. Deshalb wird dem europäischen Film regelmäßig eine Infusion aus dem Finanz-Tropf der öffentlichen Filmförderung gelegt. Sogar die Europäische Union selbst – sonst ja nicht gerade bekannt dafür, die Opfer der Marktwirtschaft in die öffentlich finanzierte Intensivstation zu verlegen – hat mit dem auf 400 Millionen Euro aufgestockten "Media Plus"-Programm schon das dritte Förderungsinstrument für die Filmindustrie in Folge aufgelegt. Ganz zu schweigen von den staatlichen Maßnahmen der Mitgliedsstaaten.

WTO – der "Mario Monti" des Welthandels

Der Grund, warum auch der sonst so gestrenge Wettbewerbswächter der EU-Kommission, Mario Monti, hier beide Augen zudrückt, ist schnell gefunden: Film ist keine Ware wie Popcorn oder Eiskonfekt. Nein, Film, der europäische zumindest, ist ein Kulturgut. Und ein Kulturgut, dem es schlecht geht, bedroht die im Amsterdamer EU-Vertrag festgeschriebene kulturelle Vielfalt. Und wer verstößt schon gerne gegen Verträge?

Die EU jedenfalls nicht. Lieber unterzeichnet sie erst gar nicht. Oder nur unter der Bedingung einer "kulturellen Ausnahme". So wie bei den 1994 abgeschlossenen GATT-Verhandlungen der sogenannten "Uruguay-Runde". Damals wurde der audiovisuelle Bereich auf EU-Wunsch von der weltweiten Dienstleistungsliberalisierung ausgespart. Sonst hätten nämlich auch US-Produzenten Anspruch auf europäische Förderungsgelder gehabt.

Aber noch ist der europäische Film nicht gerettet. Ein Ergebnis der Uruquay-Runde war nämlich auch die Gründung der Welthandelsorganisation WTO, die laut Vertrag Ende 1999 auch das Thema Liberalisierung im audiovisuellen Bereich wieder auf den Tisch bringen sollte. Und das hat die WTO getan. Bisher stehen konkrete Ergebnisse allerdings aus, und die EU hat bereits angekündigt an der "kulturellen Ausnahme" festhalten zu wollen.

Kulturelle Ausnahme für Wirtschaftsförderung

Aber die europäische Position steht zumindest sachlich auf wackligen Füßen. Selbst bei der deutschen Regierungsbeauftragten für Kultur und Medien spricht niemand vom reinen Kulturgut Film: "Film ist ein Kulturwirtschaftsgut", sagt der zuständige Referatsleiter Hermann Scharnhoop. Und das gerade novellierte Filmförderungsgesetz sei vom Charakter her ein Gesetz mit wirtschaftlicher Zielsetzung.

Das ist allerdings auch unübersehbar: Zwar werden bei der Vergabe von Fördermitteln jetzt auch die Erfolge von Filmen auf internationalen Festivals berücksichtigt, aber in die Vergabe kommen nur solche Filme, die auch mindestens 50.000 Zuschauer sehen wollten. Für viele kulturell bedeutsame Filme unerreichbar. Ohne Festivalteilnahme muss ein Produzent mit seinem Film sogar 150.000 statt wie bisher 100.000 Zuschauer in die Kinosäle gelockt haben, um beim nächsten Projekt gefördert zu werden. Die Publikumsorientierung gewinnt damit an Bedeutung.

Die Kinobesitzer wollen günstige deutsche Filme

Der wirtschaftliche Erfolg steht übrigens auch bei den Kinobesitzern in Deutschland über dem cineastischen Idealismus. Sie wollen notfalls mit einer Verfassungsklage gegen die Gesetzesnovelle vorgehen, weil sie demnächst pro Kinokarte drei Cent mehr in den Förderungstopf einzahlen sollen. Da zeigt man doch lieber "Für eine Handvoll Dollar...".