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Kinder werden seltener Opfer von Sextätern

18. Oktober 2011

Sexueller Kindesmissbrauch geht laut einer repräsentativen Studie in Deutschland deutlich zurück. Die gefühlte Kriminalitätstemperatur liegt demnach gravierend neben der Wirklichkeit.

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Symbolbild Kindesmissbrauch - beschädigte Kinderpuppe (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Seit Jahren erfährt das Thema Kindesmissbrauch in Deutschland eine große und aufmerksame Öffentlichkeit. Auslöser war das Bekanntwerden von hunderten Missbrauchsfällen in Schulen und Heimen. Die Bundesregierung etablierte einen Runden Tisch, an dem Politiker, Betroffenenvertreter und Wissenschaftler Platz nahmen. Deutschland entschied sich für einen sehr gründlichen Weg, mit dem Thema Kindesmissbrauch umzugehen. Aus diesem Grund auch wurde eine repräsentative Studie in Auftrag gegeben - die letzte Befragung dieser Art stammte bereits aus dem Jahr 1992.

Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (Foto: dapd)
Christian Pfeiffer (links), Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts NiedersachsenBild: dapd

Das renommierte Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat dazu im Auftrag des Bundesbildungs- und Forschungsministeriums 11.500 Personen zwischen 16 und 40 Jahren zu sexueller Missbrauchserfahrung befragt. "Entgegen aller Erwartungen geht der sexuelle Missbrauch drastisch zurück", fasste Institutsleiter Christian Pfeiffer die Ergebnisse zusammen. Die gefühlte Kriminalitätstemperatur liege gravierend neben der Wirklichkeit. "Vor 19 Jahren hatten wir ermittelt, dass 8,6 Prozent der Frauen und 2,8 Prozent der Männer bis zum 16. Lebensjahr mindestens eine Missbrauchserfahrung mit Körperkontakt hatten. Die Vergleichszahlen heute liegen bei 6,4 Prozent bei den Frauen und 1,3 Prozent bei den Männern." Die Zahl der Sexualmorde - als extremster Form von Missbrauch - ist von 58 im Jahr 1979 auf vier Fälle im vergangenen Jahr 2010 zurückgegangen.

Erstmals wurden in der Studie auch Migrantengruppen befragt. Die Ergebnisse seien ähnlich, sagte Pfeiffer. Nur bei jungen Türkinnen sei die Zahl der Missbrauchsfälle mit 1,7 Prozent noch einmal niedriger. Das liege auch daran, dass diese Mädchen traditionell behüteter aufwüchsen.

Politik und Medien stärken die Opfer

Pfeiffer nannte mehrere Gründe für diese positive Entwicklung. Wichtig sei die Enttabuisierung des Themas in den vergangenen Jahrzehnten gewesen, sowohl was Sexualität als auch das Reden über Missbrauch betreffe. "Hinzu kommt, dass die Polizei sich viel besser darauf einstellt, mit solchen Opfern gut, beschützend und helfend umzugehen", sagte Pfeiffer. "Und dass wir eine Fülle von Organisationen haben, die sich helfend um spezifisch diese Opfergruppe kümmern."

Pfeiffer lobte außerdem den offeneren Umgang mit dem Problem in Politik und Medien sowie die stärkere Hinwendung zu den Opfern. Die Politik habe in vielen Punkten richtig gehandelt. Unter anderem durch veränderte Gesetze sei die innerfamiliäre Gewalt - einer Hauptquelle für sexuellen Missbrauch - zurückgegangen. So wurde das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft und ein Gewaltschutzgesetz in den Familien erlassen.

Gründliche und nachhaltige Bekämpfung als Ziel

Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan (Foto: dapd)
Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette SchavanBild: dapd

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, ordnete die Studie als Teil eines umfangreichen und nachhaltigen Maßnahmebündels ein. Wichtig seien bessere Schutzmöglichkeiten, mehr Prävention und die Berücksichtigung des Themas in der Ausbildung von Berufsgruppen, die viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben.

Zudem müsse die entsprechende Forschung an den Hochschulen etabliert werden, hier sei noch viel aufzubauen, sagte Schavan. Für die Forschung stellt der deutsche Staat 30 Millionen Euro zur Verfügung. Kriminologe Pfeiffer sprach davon, dass in Deutschland so viel Missbrauchsforschung betrieben werde wie in keinem anderen Land weltweit.

"Für mich sind diese Daten aber auch Anstoß für weitere Diskussionen am Runden Tisch", erklärte Schavan. Die jetzt präsentierten Ergebnisse sind der erste Teil der Studie. Es folgt eine Diskussionsphase, die Ende 2013 in einen Abschlussbericht münden soll. Flankierend soll eine Studie speziell zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche durchgeführt werden. Institutsleiter Pfeiffer erwähnte in diesem Zusammenhang eine ähnliche Studie in den USA, die einen erheblichen Rückgang von Missbrauchsfällen in religiösen Einrichtungen festgestellt habe. Er vermute, dass es in Deutschland ähnlich sei. Denn in der jetzigen Studie seien 683 Missbrauchsfälle erfasst worden - und nur in einem Fall handele es sich bei dem Täter um einen katholischen Priester.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Peter Stützle