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Kiewer Gespräche: Bürgergesellschaft und Politikumbruch in der Ukraine

17. November 2005

Am Dienstag (22.11.) feiert die Ukraine den ersten Jahrestag ihrer „orange Revolution". Wie hat sich das Land verändert? Die entstehende Bürgergesellschaft stand im Mittelpunkt der ersten so genannten Kiewer Gespräche.

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Dialogforum in der Robert Bosch Stiftung BerlinBild: Bosch-Stiftung

Wenn Volker Rühe über die Ukraine spricht, so macht er das meist mit sehr klaren Worten. Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister und bis vor kurzem Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag sieht noch immer erhebliche Defizite bei der Verwirklichung demokratischer Grundwerte in der Ukraine. So gebe es dort noch immer kein Verständnis für die wichtige Rolle der Opposition in einer Demokratie. Aber Rühe ist sich sicher, dass die Ukraine in Zukunft der Europäischen Union angehören müsse: "Früher haben sie Raketen auf uns gerichtet und jetzt Erwartungen. Und manche fürchten sich vor diesen Erwartungen mehr als vor den Raketen. Das ist so ziemlich das Dümmste, was man machen kann. Aber diese Befürchtungen sind nun mal sehr, sehr weit verbreitet".

Neues deutsch-ukrainisches Dialogforum

Der überfüllte Saal in der Berliner Robert Bosch Stiftung applaudiert. Der Jahrestag der „orange Revolution“ war Anlass für die ersten so genannten Kiewer Gespräche am Wochenende (11.-13.11.) in Berlin. Die Kiewer Gespräche sind ein neu eingerichtetes deutsch-ukrainisches Dialog-Forum zu zivilgesellschaftlichen Themen, das von der Robert Bosch Stiftung und der Gesellschaft "Europäischer Austausch" in Zusammenarbeit mit anderen Partnern, darunter auch der Deutschen Welle, organisiert wurde. Politiker, Experten und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus der Ukraine, aus Deutschland und anderen Ländern waren dabei.

Zivilgesellschaft im Mittelpunkt

Carsten Lenk, Projektleiter für Osteuropa bei der Robert Bosch Stiftung, erläutert den Unterschied zwischen diesem Forum und anderen Veranstaltungen: "Diese Mischung, die macht es im Grunde genommen - aus Praktikern, aus Akteuren, aber auch aus Leuten, die das im Grunde genommen auch kommentieren, und einzelnen Politikern sicher, die zu dem Thema etwas sagen können. Aber wir möchten uns abheben, es soll keine politische Veranstaltung im klassischen Sinne werden. Wir wollen uns abheben von staatstragenden Veranstaltungen, sondern hier soll wirklich die Zivilgesellschaft zu Wort kommen."

Dass die Ukrainer zunehmend ihre Bürgerrechte wahrnehmen und verteidigen und sich auch als Bürger verstehen, bezeichneten die Teilnehmer des Forums als eines der wichtigsten Ergebnisse der "orange Revolution". Aber es wurde auch Meinungsverschiedenheiten deutlich. Beispielsweise bewerteten Kiewer Journalisten die Lage der Pressefreiheit als inzwischen durchaus positiv. In der Provinz ist die Stimmung eher pessimistisch. Es gebe so gut wie keine Diskussion über die Pressefreiheit, sagte ein Journalist aus Donezk.

Negative Folgen der Visa-Affäre

Auch über den Stand der deutsch-ukrainischen Beziehungen wurde gesprochen. Rühe wies daraufhin, dass die Ukraine immer noch keinen neuen Botschafter für Berlin ernannt habe. Seit fast einem halben Jahr ist der Posten nun vakant. Eine negative Rolle habe auch die so genannte Visa-Affäre in Deutschland gespielt. Wilfried Jilge vom Leipziger Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas spielt auf die restriktive Politik Berlins an: "Wenn man hört, dass ukrainische Journalistinnen und Journalisten mittlerweile versuchen, ihre Visa-Anträge aus Effizienz-Gründen beispielsweise an der französischen Botschaft einzureichen, dann ist das etwas, was auf ukrainischer Seite auch als Mangel an `Goodwill´ auf der deutschen Seite empfunden werden könnte."

Hinzu kommt, dass in der ukrainischen Provinz insgesamt Informationen über deutsche Projekte im Bereich Bürgergesellschaft fehlten, beklagt ein Teilnehmer des Forums: "Ich habe hier in Berlin erstmals gehört, dass es neben einem akademischen Austausch auch andere Maßnahmen der deutschen Bundesregierung gibt. Leider ist das so. Ich vertrete eine regionale Organisation, und sogar wir wissen auf dieser Ebene nicht, dass die deutsche Bundesregierung in die ukrainische Demokratie investieren kann."

Fortsetzung der Gespräche in Kiew

Die Kiewer Gespräche hatten auch zum Ziel, über ukrainisch-deutsche Projekte in verschiedenen Bereichen zu berichten. Die Veranstalter meinen, dies sei ihnen gelungen. Der nächste Schritt soll die Eröffnung einer Vertretung der Robert Bosch Stiftung in Kiew und die Vorbereitung eines weiteren zivilgesellschaftlichen Forums sein, dass dann in der Ukraine stattfinden soll.

Roman Goncharenko

DW-RADIO/Ukrainisch, 14.11.2005, Fokus Ost-Südost