1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Khalifa: "Hoffnung ist Teil unserer Revolution"

Khalid El Kaoutit15. März 2014

Der syrische Schriftsteller Khaled Khalifa erklärt im DW-Interview, warum er seine Heimat auf keinen Fall verlassen will - und wieso es unter den Menschen im Inland mehr Hoffnung gibt als bei den Exil-Syrern.

https://p.dw.com/p/1BQ6G
Porträt Khaled Khalifa
Bild: Aiham Dib

DW: Sie haben im Vorfeld des Interviews einen Dreh abgelehnt. Warum wollen Sie nicht, dass ein TV-Beitrag über Sie realisiert wird?

Khaled Khalifa: Ich habe gerade keine Lust auf Schauspielerei. Ich glaube auch nicht, dass das irgendetwas bringen würde. Die Welt hat Syrien seinem Schicksal überlassen. Egal was ich sage, es hat keinen Wert mehr. Ich komme mir vor, als würde ich betteln, wenn ich immer wieder den gleichen Monolog halte: "Bitte versteht, was dort passiert. Das ist eine Revolution und kein Bürgerkrieg." Die Menschen in Syrien interessiert sowieso kaum, was die Europäer über sie denken.

Und was ist mit Ihnen?

Das hat schon einen traurigen Beigeschmack. Die Werte, von denen man ständig im Westen spricht, scheinen nur für interne Verhältnisse zu gelten. Menschenrechte haben dann nichts mit der Menschheit zu tun. Das finde ich auch insofern absurd, da die Menschen in Europa selbst lange gelitten haben. Aber jetzt kommen sie und sagen, alles, was außerhalb unserer Landesgrenzen passiert, geht uns nichts an. Es sei denn, unsere Interessen sind betroffen. Wenn eure Interessen einen höheren Stellenwert als eure Werte haben, dann heißt das für mich, dass ihr Europäer unter einer moralischen Krise leidet.

Sie werden oft gefragt, warum Sie unbedingt in Syrien bleiben möchten. Wie empfinden Sie diese Frage?

Ich finde sie merkwürdig. Es ist normal, dass ich nach Syrien zurückgehe. Das ist mein Ort, dort steht mein Haus, dort sind meine Freunde. An diesem Ort findet meine Revolution statt. Die Lage ist dort gerade sehr schlecht. Aber das ist unser Schicksal. Das ist unsere Gelegenheit, für die Ideen geradezustehen, für die wir seit vierzig Jahren kämpfen: für die Veränderung, für das Recht unserer Gesellschaft auf Freiheit und Würde. Es wäre völlig unlogisch, den Ort gerade dann zu verlassen, wenn diese Ideen beginnen, Wirklichkeit zu werden. Du bist zwar nur einer von vielen, die noch dort sind. Aber du kannst einen menschlichen und kulturellen Beitrag leisten.

Was können Sie als Einzelner dort bewirken?

Das gibt vielen Menschen Hoffnung, vor allem den jungen. Du bist bei ihnen. Du kannst als Schriftsteller deinen Leuten helfen, friedlicher zu denken, egal was passiert. Außerdem bist du ein Zeuge der Geschichte. Von außen kann man kein Zeuge sein. Auch nicht, wenn man die Nachrichten verfolgt: Denn diese spiegeln die Realität nicht ganz wider. Jeden Tag sterben junge Menschen. Du kannst nicht sagen: Ich als Schriftsteller bin wertvoller als sie. Man weiß ja nicht, vielleicht sind mit ihrem Tod Hunderte von Schriftstellern verlorengegangen, die viel besser geworden wären als ich. Folglich ist die Idee, dass ich freiwillig an einen gefährlichen Ort gehe, nicht ganz richtig. Im Gegenteil: Ich wünsche mir mehr Mut und Geduld, um Syrien nicht verlassen zu müssen.

Aber Sie müssen auch mitansehen, wie dieser Ort gerade zerstört wird...

Das ist schrecklich! Aber man erlebt auch Hoffnung. Ich sehe den Unterschied, wenn ich meine Freunde im Ausland treffe, die das Land verlassen haben. Sie haben sehr wenig Hoffnung. Die Hoffnung der Menschen innerhalb Syriens ist hingegen riesig. Das zeigt sich in ihrem Alltag, wenn sie versuchen zu überleben, ihre Familien zu ernähren oder eine Schule zu bauen. Diese Hoffnung und diesen starken Widerstand sehen wir nicht in den Medien: Aber auch das ist Teil der Revolution. Dieser Alltag zeigt, dass wir auf unserem Recht auf Veränderung und Demokratie beharren. Wenn ich diese Menschen sehe, dann denke ich, dass Syrien nicht extremistisch oder islamistisch werden kann. Diese Menschen, die Zivilisten, verteidigen die Idee eines zivilen Staates. Die bewaffneten Kämpfer können erzählen, was sie wollen. Aber wenn dieses bewaffnete Kapitel zu Ende geht, kommen die Menschen zu Wort, die dort geblieben sind und überlebt haben.

Sie leben in Syrien und haben den ganzen Umbruch mitbekommen. Was hat sich für Sie verändert?

Syrien ist gerade sehr traurig. Das alte Syrien gibt es nicht mehr und wie das neue sein wird, wissen wir nicht. Das ist eine sehr schwierige Transformationsphase, voller Blut und Leiden. Der Preis für das neue Syrien ist jetzt schon zu hoch. Egal was wir erreichen werden, es kann diesem Opfer nie gerecht werden.

Heißt das, dass es sich überhaupt nicht gelohnt hat?

Die Revolution war und ist notwendig. Trotzdem frage ich mich manchmal, warum mussten wir ein so großes Opfer bringen? Es wird mit der Zeit klar, dass wir 50.000 Menschenleben opfern müssen, damit zum Beispiel die Interessen des Iran gewahrt bleiben. Wir sterben nicht nur für unsere Revolution. Wir entdecken plötzlich unser Land und seine komplizierten Beziehungen und politischen Zusammenhänge ganz neu: Dass es einen bestimmten internationalen Kompromiss gibt über die Stabilität der ganzen Region, auf Kosten unserer Freiheit. Dieser Kompromiss besteht seit über fünfzig Jahren. Als er geschlossen wurde, hat keiner gesagt: 'Die Freiheit der Syrer muss Teil dieser Stabilität sein.'

Der Schriftsteller Khaled Khalifa wurde 1964 in der syrischen Stadt Aleppo geboren. Er lebt und arbeitet in Damaskus. Der studierte Jurist hat preisgekrönte Romane und Drehbücher für Kinofilme und TV-Serien verfasst. Er gehört zu den renommiertesten arabischsprachigen Gegenwartsautoren.

Das Interview führte Khalid El Kaoutit.