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Keine Volkslieder

Sonia Phalnikar/sam6. Dezember 2002

Verstehen ausländische Fußballstars eigentlich, was ihnen ihr deutscher Coach auf dem Platz zuruft? Oft nicht, meint ein Sprachwissenschaftler. Er hat nun ein Deutschbuch für Fußball-Profis geschrieben.

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Alex Alves (Hertha BSC): Probleme mit der Sprache, Probleme auf dem PlatzBild: AP

Dass es in der Bundesliga wahrlich multikulti zugeht, ist inzwischen sehr vertraut. Ausländische Profis sind in den Startaufstellungen der meisten Mannschaften häufig in der Mehrheit und Energie Cottbus begann sogar schon Partien mit elf Ausländern auf dem Platz.

Uwe Wiemann fragte sich schon länger, ob diese denn verstehen, was ihr Trainer ihnen zuruft. "Ich bin oft im Stadion", sagt der bekennende Fan im Gespräch mit DW-WORLD. Und an eine Situation erinnert er sich dabei ganz genau: Er beobachtete, wie Matthias Sammer, Trainer von Borussia Dortmund, mit dem Brasilianer Evanilson kurz vor einer Einwechslung mit Hilfe eines Dolmetscher kommunizierte. "Da dachte ich mir: Wie kann das denn sein, dass Evanilson nach über anderthalb Jahren noch kein bisschen Deutsch kann?"

Sprachhürden an der Taktiktafel

Nun ist Wiemann aber nicht nur Fußball-Fan sondern auch Doktorand der Sprachwissenschaft an der Uni Dortmund. Er machte sich daran, ein Deutschbuch für Fußball-Profis zu entwickeln. Er informierte sich über die speziellen Sprachhürden, mit denen ausländische Spieler auf dem Spielfeld, vor der Taktiktafel und in der Umkleidekabine zu kämpfen haben und richtete danach seine Übungen aus. Er versuchte dabei die komplizierten deutschen Grammatik-Regeln und den Theorie-Anteil möglichst gering zu halten. Eine "Sprint-Grammatik" für eine Art Basis-Deutsch habe er damit erstellt, meint Wiemann. Zumindest Sätze wie "ich spiele in der Abwehr" sollen damit möglich werden.

Keine Lust? Ein bunter Sprachkurs soll es bringen

Er berücksichtigte dabei, dass Fußballer nicht allzu viel Zeit und oft noch weniger Lust haben sich mit den Volksliedern oder Literatur-Exkursen handelsüblicher Deutschbücher zu belasten. Herausgekommen ist ein Buch mit einer Unmenge von Fußballbildern, den entsprechenden Stars, einer Menge witziger Sprüche und verhältnismäßige leichte Übungen. Wiemann glaubt damit die Aufmerksamkeit der Profis erreichen zu können.

Behördengänge und Mülltrennung

Dass Sprachkenntnisse für die Spieler ungemein wichtig sind meint auch Frank Ditgens, der bei Bayer Leverkusen die ausländischen Spieler coacht. Ein Spieler mit Sprachkenntnissen fühle sich besser, sei besser integriert, habe mehr Kontakte und spiele dadurch besser, was wiederum seinen Wert steigert. Beim SC Freiburg hat man dies schon lange begriffen. Spieler aus acht verschiedenen Nationen hat der Verein unter Vertrag - und eine eigene Deutsch-Lehrerin. Sie büffelt aber nicht nur mit den Spielern, sondern hilft auch bei den Klippen der deutschen Bürokratie oder erklärt das Prinzip Mülltrennung. Der Erfolg spricht für sich: Sprach- und Integrationsprobleme kennt man im Breisgau bisher nicht.

Führerscheine und Gynäkologen

Die Vorzüge des Spracherwerbs haben sich jedoch noch nicht bei allen Bundesligisten herumgesprochen. Hertha BSC Berlin hat zum Beispiel 15 ausländische Spieler unter Vertrag, doch Pressesprecher Hans-Georg Felder hält es für nicht sonderlich dramatisch, dass einige von ihnen kein Deutsch verstehen. "Fußball ist doch eine universelle Sprache", meint er. "Wenn der Trainer eine Anweisung ruft, verstehen die Spieler das sofort." Man wolle die Spieler nicht dazu zwingen Deutsch zu lernen, sie sollten aber die deutsche Mentalität erlernen. Wie das gehen soll, erklärt Felder ebenfalls gegenüber DW-WORLD: "Wir verbringen von morgens bis abends Zeit mit ihnen. Wir tun alles für sie. Wir besorgen ihnen Führerscheine und bringen auch ihre Frauen zum Gynäkologen. Das ist, was zählt", ist er sich sicher.

"Ein Buch?"

Von Wiemanns Ansatz hält er nichts. "Ein Buch? Ich glaube nicht an solche blumigen Konzepte. Wir sind Pragmatiker." Vielleicht wäre bei den Hertha-Pragmatikern aber auch ein Umdenken an der Zeit. Zum Beispiel wegen Alex Alves. Der hochbegabte brasilianische Stürmer bringt selten die erwarteten Leistungen. Weil die Integration nicht klappt, weil er kaum deutsch spricht, wie man hört. Und dann kam er auch noch mit der Polizei in Konflikt - wegen Fahrens ohne Führerschein.