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Keine Stundenpläne für Kitas

Janine Albrecht14. Mai 2013

Je früher, desto besser - dass Kleinkinder vieles leichter lernen, verführt dazu, schon in Kindergärten Schulstoff zu vermitteln. Doch laut Experten hat Bildung für die Kleinsten nichts mit Fachwissen zu tun.

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Kinder der Hamburger Kindertagesstätte CampusKinder sitzen draußen zum Erzählkreis (Foto: DW/Janine Albrecht)
Bild: DW/J. Albrecht

In dem kanuförmigen Boot aus Holz, das mitten in einer Sandkiste steht, sitzen drei kleinere Mädchen und backen eifrig Kuchen. In einem anderen Teil des Gartens jagen Größere herum, ein Junge fährt mit dem Dreirad auf dem kleinen Asphaltstück. An diesem sonnigen Montag können sich die 20 Kinder der Elementargruppe der CampusKinder draußen so richtig austoben.

"Montags brauchen die Kinder erst einmal nur Bewegung, denn an den Wochenenden sitzen viele vor dem Fernsehen", sagt Magdalena Köcher. Die stellvertretende Leiterin dieser Hamburger Kindertagesstätte sitzt auf einer Holzbank am Rand des kleinen Außengeländes. "Da ist nix mit Naturwissenschaften", sagt sie. Und meint den Anspruch vieler Eltern und Bildungspolitiker, schon in der Kita Lerninhalte zu vermitteln.

Die stellvertretende Leiterin der Kindertagesstätte Campus-Kids in Hamburg im Gespräch mit zwei Mädchen (Foto DW/Janine Albrecht)
Erst mal reden und spielen - Magdalena Köcher geht auf die Wünsche der Kinder einBild: DW/J. Albrecht

Sorge um die Qualität deutscher Kitas

Geht es in Deutschland um die Betreuung von Kindern, geht es auch immer um deren Bildung. Was sollen die Kleinsten lernen, was brauchen sie für einen guten Start ins Leben? Eine Diskussion, die in Deutschland erbittert geführt wird, denn ab August haben alle Kinder unter drei Jahren das Recht auf einen Kitaplatz. Doch noch fehlen 220.000 Krippenplätze und 42.000 Erzieher.

"Ich fürchte, dass die Qualität der Betreuung daher zunächst sinken wird“, sagt Dagmar Bergs-Winkels von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Wie wichtig jedoch eine gute Betreuung ist, zeigt ihrer Ansicht nach die IGLU-Studie, das Pendant zur Pisa-Studie in der Grundschule. "Kinder, die vor der Schule ein oder zwei Jahre im Kindergarten waren, hatten eine bessere Sprachkompetenz", betont Bergs-Winkels. Allerdings müssten dazu keine Stundenpläne in Kitas eingeführt werden.

Prof. Dagmar Bergs-Winkels, Erziehungswissenschaftlerin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (Foto: DW/Janine Albrecht)
Der massive Ausbau der Kitas in Deutschland geht auf Kosten der Qualität, fürchtet Dagmar Bergs-WinkelsBild: DW/J. Albrecht

Erzieher als geschulte Beobachter

"Bildung heißt hier nicht, dass man in Kindertagesstätten schon Fächer unterrichten soll“, sagt auch Reingard Knauer, Professorin für Kindheitspädagogik an der Fachhochschule Kiel. Ziel der Kitas sei es, Kinder bei der Entdeckung der Welt zu begleiten, ihre Aneignungsprozesse zu unterstützen. "Die Fachkräfte treten hierbei zurück, sie beobachten die Kinder", so Knauer. Im Kern steht genau das in den Bildungsrahmenplänen für Kindertagesstätten, die alle 16 Bundesländer nach einem Beschluss der Jugendministerkonferenz und Kultusministerkonferenz von 2004 erstellt haben.

Seitdem versuchen immer mehr Einrichtungen, dieses Ziel auch umzusetzen. In Fortbildungen werden Erzieher geschult, wie sie die Kinder beobachten, deren Interessen, Stärken dokumentieren und eine Umgebung schaffen können, in der sich die Kinder entfalten und selbst bilden können. "Wir sind da auf dem richtigen Weg", meint Michaela Hopf, Leiterin der Fachgruppe "Pädagogische Konzepte für die frühe Kindheit" am Deutschen Jugendinstitut in München. Allerdings seien die Kindergärten häufig gar nicht für die neuen Anforderungen gewappnet. So müsste die Arbeit an Kindergärten der an Schulen gleichgestellt werden, auch Vorbereitungszeiten für die Erzieher miteingeplant werden.

Dokumentationsmappen über die Kinder in der Elementargruppe der Kita CampusKinder in Hamburg (Foto: DW/Janine Albrecht)
Für jedes Kind eine Mappe: Die Entwicklung wird in der Kita genau dokumentiertBild: DW/J. Albrecht

Weltweite Frage: Vorschule oder Spielen?

Während man in Deutschland zusehends die Selbstbildung in den Vordergrund frühpädagogischer Konzepte stellt, legen französische Kindergärten nach wie vor Wert auf formalisierte Bildungsprozesse. In der Ecole Maternelle gleichen die Räume schon optisch einem Klassenzimmer. "Dort werden keine Lernumwelten gestaltet, sondern Aufgaben werden abgearbeitet", sagt Hopf. Ein Vorteil sei allerdings, dass der Übergang vom Kindergarten in die Schule daher leichter ist. "Allerdings sollte es eher so sein, dass sich die Schule an den Kindergarten anpasst und nicht umgekehrt."

Auch in England war die Early Years Foundation Stage, wie der Kindergarten für die Zwei- bis Fünfjährigen dort heißt, sehr verschult. Doch 2008 wurde ein neues Curriculum umgesetzt. "Es lehnt sich mehr an die Bedürfnisse der Kinder an, das Spielen rückt stärker in den Vordergrund", erklärt Hopf. Dies sei in Asien undenkbar. Dort setze man vor allem auf das Trainieren von Wissen.

Öffentlichkeit drängt zur Verschulung

Auch wenn sich in Deutschland die Experten einig sind, dass Kinder in der Vorschulzeit nicht wie in der Schule unterrichtet werden sollen, sieht die Umsetzung in der Praxis häufig anders aus. "In der öffentlichen Debatte wird Bildung meist nur mit der Vorbereitung auf die Schule verbunden", meint Reingard Knauer von der Fachhochschule Kiel. Die Devise lautet "je früher, desto besser". Gründe dafür sind vor allem die Pisa-Studien sowie die Dominanz schulischer Bildung.

Prof. Reingard Knauer, Erziehungswissenschaftlerin der Fachhochschule Kiel (Foto: DW/Janine Albrecht)
Die Kita darf nicht mit der Schule verwechselt werden, meint Reingard KnauerBild: Privat

Es sei allerdings ein Irrglaube, dass man bestimmte Lernvorgänge vorziehen könne, erklärt der Leiter der "Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit" am Universitätsklinikum Erlangen, Ralph Dawirs. "Denn das Langzeitgedächtnis entwickelt sich erst ab dem sechsten Lebensjahr." Um jemanden für die Gesellschaft fit zu machen, solle man besser die Kindheit verlängern, so der Neurowissenschaftler. "Der Hauptjob für drei bis sechs Jahre alte Kinder ist das Spielen", betont Dawirs.