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Keine Ruhe in Afghanistan

Peter Philipp31. Dezember 2002

Seit mehr als einem Jahr kämpfen die USA in Afghanistan gegen ihren Hauptfeind: den internationalen Terrorismus. Die Bilanz: militärische Mittel reichen nicht aus.

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Gefangene Taliban-KämpferBild: AP

"El Kaida" funktioniert noch immer. Für die USA eine ernüchternde Erkenntnis, denn US-Präsident George W. Bush hatte sich nach der Vertreibung der Taliban aus Kabul vor einem Jahr noch zuversichtlich gezeigt, dass er dem Ziel seiner Kampagne nahe sei: "In Afghanistan haben wir das Taliban-Regime besiegt - aber das war nur der erste Schritt". Laut George W. Bush war die Befreiung dieses Landes für die USA "der Anfang eines langen und unablässigen Kampfes, den wir aufgenommen haben."

Afghanische Erfahrungen

Zum Ende des ersten Nach-Taliban-Jahres beginnt man in Washington umzudenken: Mit konventionellen Mitteln werde man die Reste der Kaida und der Taliban nicht besiegen können, meinen immer mehr Experten. 7000 amerikanische Soldaten befinden sich in Afghanistan, aber sie reichen bei weitem nicht, alle Ecken des unwegsamen Landes am Hindukusch zu durchsuchen. Zumal nur ein kleiner Teil von ihnen das Rüstzeug dazu mitbringt. Es sind die "Special Forces" - verwegen aussehende Gestalten, die sich bei
oberflächlichem Hinschauen nicht von Afghanen unterscheiden.

Bewaffneter Soldat einer amerikanischen Spezialeinheit auf afghanischem Boden
US-Soldat im Einsatz für die neue OrdnungBild: AP

Diese Sondereinheiten sind in nichts vergleichbar mit jenen glatten "Marines" mit ihren gespiegelten Sonnenbrillen, denen man gelegentlich in Kabul begegnet. Die Stärke dieser Truppe ist Geheimsache, ebenso wie ihre konkreten Einsatzbefehle. Sicher ist nur, dass sie auch mit der besten Verkleidung und dem besten Training nicht in der Lage sein werden, die Stecknadel im Heuhaufen zu finden.

Kampf mit anderen Mitteln

Diese Suche sollte vielleicht abgebrochen werden, empfehlen seit Wochen amerikanische Experten. Statt dessen sollte man seine Energie für den Wiederaufbau des Landes einsetzen. Beim Aufbau von Infrastruktur, von Schulen und Krankenhäusern. Nur dann könne man gewährleisten, dass Fanatiker wie die Taliban oder Osama Bin Laden in Afghanistan ihre Gefolgschaft verlieren und nicht neue Anhänger gewinnen.

In letzter Zeit ist eher das Gegenteil zu beobachten. Die
Amerikaner haben - besonders auf dem Land - viel an Sympathie eingebüßt. Und Taliban wie "El Kaida" haben Zulauf oder Unterstützung bekommen. Weil die erhoffte Verbesserung der Lebensbedingungen ausgeblieben ist und von der Kabuler Zentralregierung im Land kaum etwas zu spüren ist. Sehr wohl aber von den traditionellen "warlords", die Afghanistan immer beherrscht - und auch unregierbar gemacht - haben.

Ausweg: Staatsmacht?

Um dies zu ändern, müsste die afghanische Regierung über eine vernünftige Armee verfügen, diese befindet sich - mit gerade 1000 Mann - noch im Anfangsstadium, ihr wird aber große Bedeutung beigemessen. Bundesaußenminister Joschka Fischer stellte fest, dass "diese afghanische nationale Armee nicht nur wichtig zur Herstellung von Sicherheit in Afghanistan ist, sondern auch zum Zusammenhalt, für die territoriale Integrität des Landes".

Niemand vermag vorauszusagen, wie lange es dauern wird, bis eine solche Armee in der Lage sein wird, die Sicherheitsaufgaben zu übernehmen, die Taliban und "El Kaida" endgültig den Boden unter den Füßen entziehen werden. Aber es wird sicher noch lange dauern. Inzwischen ist die Gefahr eines Rückfalls groß. Denn die gefährlichsten Gruppen haben sich offenbar in Sicherheit bringen können. Sie haben Unterschlupf gefunden im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, das beherrscht wird von
paschtunischen Stämmen.

Unfassbarer Feind

Tora Bora unter Beschuß
Berge unter BeschussBild: AP

Nur kurz nach dem Fall Kabuls glaubten die Amerikaner, in Tora Bora die flüchtigen Kaida-Leute gefunden zu haben: Tagelang bombardierte man die Höhlen und unterirdischen Befestigungen, die Belagerten konnten aber entkommen. Unter ihnen offenbar auch Osama Bin Laden, der sich seitdem wahrscheinlich auf der pakistanischen Seite der Grenze aufhält: Entweder in der Nordwest-Provinz, die von Regierungstruppen gemieden wird, oder gar in Peschawar selbst - der Hochburg afghanischer Flüchtlinge und pakistanischer Islamisten. Inzwischen nehmen die Überfälle auf US-Soldaten in Afghanistan zu und auch die Soldaten der auf Kabul beschränkten "ISAF" sind bereits Zielscheibe von Terroranschlägen geworden.

Grund genug, für US-Außenminister Colin Powell, sich für eine Fortsetzung des Kampfes auszusprechen. Seiner Ansicht nach wussten die USA, dass "es lange dauern würde, diese terroristischen Elemente loszuwerden und 'El Kaida' wie die Taliban zu besiegen". Daher wolle man engagiert bleiben und die ISAF in ihren Bemühungen unterstützen.

So entschlossen sich Washington aber auch zeigen mag: Mit militärischen Mitteln wird es seinen terroristischen Gegnern in Afghanistan nicht beikommen. Der jetzt empfohlene zweite Weg mit konkreter Hilfe für die Menschen des Landes ist sicher besser. Aber der Nachholbedarf ist ebenso groß wie die Konkurrenz der Demagogen: Sie können zwar keine Mägen sättigen, es gelingt ihnen aber immer wieder, Hungrige und Arme und Frustrierte zu fanatisieren.