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Keine Parteien, bitte

16. April 2009

Die Inder wählen ein neues Parlament. Neben dem Stolz auf die "größte Demokratie der Welt" hält sich Skepsis gegenüber Politikern. Thomas Bärthlein über ein indisches Dorf, das die Parteien ganz bewusst draußen hält.

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Bewohner Thergaons betreiben Kleinhandel vor dem Haus. (Foto: DW/Bärthlein)
Thergaon gilt als indisches Musterdorf.Bild: DW/Bärthlein

Thergaon im Bundesstaat Maharashtra ist ein Dorf wie viele in Indien - eine Million soll es davon geben. Gut tausend Menschen leben an einer Durchgangsstraße, die meisten von der Landwirtschaft. Und doch ist Thergaon ganz anders, so etwas wie ein Musterdorf. Die Straßen sind sauber gefegt und voller blühender Büsche und Bäume. Jedes Haus hat fließend Wasser und Toiletten, in indischen Dörfern immer noch die Ausnahme. Auch in Thergaon habe man vor nicht langer Zeit noch das Wasser aus dem Fluss benutzt, erklärt Bauer Kiran Gaware. "Davon bekamen die Leute alle möglichen Krankheiten." In den letzten zwei, drei Jahren sei das viel besser geworden.

Staatliche Entwicklungsprogramme plus lokales Engagement

Sharad Borade, Farmer aus Thergaon im indischen Bundesstaat Maharashtra (Foto: DW/Bärthlein)
Sharad Borade hat sich fürs engagierte Landleben entschiedenBild: DW/Bärthlein

Denn in den letzten Jahren hat Thergaon sich gründlich verändert: Das Dorf beteiligte sich an Entwicklungsprogrammen der Regierung, die von den Dorfbewohnern Eigenleistungen einforderte. Zum Beispiel mussten sie alle auf eigene Kosten Toiletten bauen; im Gegenzug gab es dann öffentliche Gelder, zum Beispiel für das Wasserleitungs-Netz.

Dass all das funktioniert hat, hat viel mit dem ehemaligen Dorfvorsteher Sharad Borade zu tun, einem jungen Großfarmer, der Tafeltrauben exportiert. Borade hat eine gute Ausbildung und hätte auch, wie viele andere, in der Stadt einen guten Job gefunden. Aber die Landwirtschaft hat es ihm und anderen in seinem Alter angetan. "Wir verdienen in der Landwirtschaft einfach mehr. So viel würde ich bei keinem Job herausbekommen", erklärt der junge Farmer. Wobei Landwirtschaft längst nicht mehr bedeutet, alles so zu machen wie die Eltern. Borade hat viele Seminare besucht und neue Technologien eingeführt – mit Erfolg, wie er erklärt. "Wofür wir früher einen Tag brauchten, das schaffen wir heute in einer Stunde."

Die Dorfbewohner setzen auf Eigeninitiative

Irgendwann ist Sharad Borade dann auch in die Lokalpolitik gegangen. Sein Vater ist schon seit dreißig Jahren in der Kongress-Partei aktiv. Es traf sich, dass eine Gruppe junger Leute im Panchayat, dem Gemeinderat von Thergaon zusammenkamen. Und so wie in der Landwirtschaft, haben sie auch in der Politik alles anders gemacht.

Probleme selbst zu lösen, ist dabei ein wichtiger Aspekt. In Thergaon sparen die Frauen Geld in Kleinkredit-Gruppen und sind somit nicht auf die Banken angewiesen. Ein ganz neues Konzept ist die "Tantamukti Samiti", eine Gruppe von Dörflern, die Streitfälle vor Ort selber schlichten. Das Konzept bewährt sich, findet Bauer Kiran Gaware. "Seit wir die haben, hat keiner aus dem Dorf mehr nach einem Streit Anzeige bei der Polizei erstattet", sagt er.

"Wahlen bringen die Leute auseinander"

Straßenszenen aus dem Dorf Thergaon (Foto: DW/Bärthlein)
Parteiwerbung bekommt man in Thergaon nicht zu sehen.Bild: DW/Bärthlein

Bapu Ahire ist der Gram Sewak, seit zehn Jahren der Vertreter der Regierung im Dorf. Über ihn werden alle staatlichen Entwicklungsprogramme abgewickelt. Der Beamte kennt viele Dörfer in der Umgebung. Für die Erfolgsgeschichte von Thergaon hat er eine einfache Erklärung: "Hier halten alle zusammen für die Entwicklung des Dorfes." Das sei der der Unterschied. "In anderen Dörfern warten sie nur darauf, dass die Regierung etwas für sie macht."

Die Einheit des Dorfes Thergaon zeige sich auch, wenn eigentlich Wahlen zum Gemeinderat anstünden. "Bis zum heutigen Tag hat es in diesem Dorf keine Gemeinderats-Wahlen gegeben", erklärt Regierungsvertreter Ahire. Dadurch werde der Zusammenhalt gewahrt. "In anderen Dörfern bringen Wahlen die Leute auseinander." In Thergaon tritt sozusagen eine Einheitsliste von Konsens-Kandidaten an, die nach Proporz-Grundsätzen ausgewählt worden sind.

Politische Parteien sind tabu, im Dorf gibt es weder deren Büros noch Plakate. Farmer Sharad Borade legt besonders viel Wert darauf, dass die Entwicklungsprogramme nicht mit einer Partei in Verbindung gebracht werden - obwohl er selbst Mitglied der Kongress-Partei ist. "Wir wollten schließlich das Dorf voranbringen", erklärt er. Hätte man die Entwicklungsprogramme im Namen der Partei gestartet, hätten vielleicht deren Anhänger mitgemacht, aber sicher nicht die anderen. "Denn wir hätten all den Ruhm eingeheimst, weil alles nach unserem Programm lief."

Autor: Thomas Bärthlein

Redaktion: Anna Corves