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Keine halbherzigen Reformen

Karl Zawadzky 28. August 2003

Die Rürup-Kommission hat ihren lang erwarteten Bericht vorgelegt. Je mehr davon umgesetzt wird, desto besser, schreibt Karl Zawadzky in seinem Kommentar.

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Für die unumgängliche Neujustierung der gesetzlichen Sozialversicherungen in Deutschland stehen genügend Stellschrauben zur Verfügung. Die Mehrheit der Rürup-Kommission empfiehlt, an vielen dieser Schrauben zu drehen.

Das heißt zum Beispiel für die Rente, dass die jüngeren Arbeitnehmer in Deutschland, also die 30-Jährigen, sich darauf einstellen können, dass sie länger arbeiten müssen und dann trotzdem weniger Rente im Alter erhalten werden als die Angehörigen der derzeit älteren Generation.

Den Rentnern hier zu Lande ist es noch nie so gut gegangen wie derzeit. Das ist unbestritten. Ebenso ist klar: Das ist nicht länger finanzierbar. Wer in Zukunft eine Rente haben will, wie sie heute üblich ist, der muss zusätzlich zum Rentenbeitrag private Vorsorge treffen.

Grenzen des Systems

Angesichts der kontinuierlich ansteigenden Lebenserwartung und der Verschiebungen in der Alterspyramide ist das ebenso großzügige wie perfekte Sozialsystem an seine Grenzen gestoßen. Das gilt nicht nur für die Renten-, sondern auch für die Kranken- und Pflegeversicherung.

Durch den medizinischen Fortschritt, durch die im Vergleich zu früher gesündere Lebensweise und durch den Wegfall schwerer körperlicher Arbeit erreichen immer mehr Menschen ein hohes Alter. Gleichzeitig wachsen durch den Rückgang der Geburtenzahlen immer weniger jüngere Menschen nach. Wenn nichts geschieht, wird die soziale Last für die im Erwerbsleben stehende Generation unbezahlbar.

Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass die Überforderung der jüngeren Generation vermieden wird. Hinzu kommt: Wenn nichts geschieht, wird die Flucht aus der gesetzlichen Sozialversicherung zunehmen und das System auf einen Zusammenbruch zusteuern.

Die Rürup-Kommission hat einen Fahrplan vorgelegt, wie das System erhalten und die Gerechtigkeit zwischen den Generationen verbessert werden kann. In einem waren sich Professor Rürup und Bundessozialministerin Ulla Schmidt bei der Vorstellung des Gutachtens einig, nämlich darin, dass nur ein finanzierbares Sozialsystem ein sicheres System für jene ist, die im Alter und bei Krankheit auf die Solidargemeinschaft angewiesen sind.

Übereinstimmung aller Mitglieder hat es allerdings nur bei der Diagnose der derzeitigen Fehlentwicklung, nicht aber bei der Therapie gegeben. Das verwundert nicht, sondern der Streit ist stets programmiert, wenn es um Verteilungsfragen geht. Den Gewerkschaften und Sozialverbänden gehen die vorgeschlagenen Eingriffe zu weit, den Arbeitgebern gehen sie nicht weit genug.

Politik ist am Zug

Für den Bereich der Krankenversicherung war der Streit in der Rürup-Kommission so heftig, dass sie gar keinen Vorschlag formulieren konnte. Dabei befindet sich dieser Bereich des Sozialsystems in einer besonderen Schieflage. Der Streit ist auch nicht beendet, sondern er wird wahrscheinlich an Heftigkeit noch zunehmen. Denn nun liegt es an der Politik, Konsequenzen aus dem Gutachten zu ziehen.

Die Professoren und Interessenvertreter haben nämlich nur die Fehlentwicklung beschrieben und Vorschläge gemacht; die Politik muss Gesetze formulieren und dafür Mehrheiten im Parlament suchen. Nun ist die Bundesregierung gefordert, zwischen den Gruppen und Generationen Kompromisse zu organisieren. Klar ist, dass die Bundesregierung nicht alles übernehmen wird. Doch je mehr sie übernimmt und durchsetzt, desto sicherer wird die Zukunft des Sozialsystems. Halbherzige Reformen hat es genug gegeben.