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Keine Blanko-Ermächtigung für Rettungspakete

7. September 2011

Karlsruhe hat entschieden: Der Euro-Rettungsschirm und die Griechenlandhilfen sind zwar verfassungsgemäß, doch für weitere Rettungspakete erteilt das Bundesverfassungsgericht keine Blanko-Ermächtigung.

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Eine Euro-Münze steht in einem Rettungsring (Foto: dpa)
Karlsruhe sagte Ja zu Euro-Hilfen, aber unter AuflagenBild: picture-alliance/dpa

Es war sicher ein besonderes Urteil, das nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel, Athen und an den Finanzmärkten mit Spannung erwartet wurde. Der Klage wurde am Mittwoch (07.09.2011) nicht stattgegeben. Aber: "Der Tenor sollte nicht in eine verfassungsrechtliche Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete fehlgedeutet werden", sagte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle.

Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, Außenansicht (Foto: DW/Grathwohl)
Eingang zum provisorischen Gerichtsgebäude. Der eigentliche Amtssitz wird zur Zeit saniert.Bild: DW

Fünf Professoren und der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler hatten gegen die vom deutschen Bundestag beschlossenen Gesetze zur Griechenland-Hilfe und zum Euro-Rettungsschirm in Höhe von insgesamt etwa 170 Milliarden Euro Verfassungsbeschwerden eingelegt. Ihr Argument: Wahlrecht, Demokratieprinzip und die Budgethoheit des Bundestages seien verletzt, weil die Regierung über den Kopf des Bundestages über schwindelerregend hohe Summen entschieden habe.

Dem konnte das Bundesverfassungsgericht nicht zustimmen. Es sah das Budgetrecht des Bundestages nicht als verletzt an und wies die Verfassungsbeschwerden zurück. Ausführlich betonte das Gericht die Bedeutung dieses Budgetrechts, das auch nicht auf andere Akteure übertragen werden dürfe. Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle führte aus, dass derartig umfangreiche Hilfsmaßnahmen des Bundes im Einzelnen parlamentarisch bewilligt werden müssten. Zudem müsse ein hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den Mitteln gewährleistet sein.

Karlsruhe darf politischen Entscheidungsspielraum nicht prüfen

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Udo Di Fabio (l-r), Andreas Voßkuhle (Vorsitz), Rudolf Mellinghoff, Michael Gerhardt und Peter Huber, (Foto: dpa)
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit dem Präsidenten Andreas Voßkuhle (Mitte)Bild: picture-alliance/dpa

Die von den Beschwerdeführern angegriffenen Gesetze verstießen auch nicht gegen das Wahlrecht aus Artikel 38 des Grundgesetzes, hieß es im Urteil. Es gäbe keinen Automatismus, durch den der Deutsche Bundestag sein Budgetrecht verlieren würde. Die Gesetze, die das Finanzministerium dazu ermächtigen, Gewährleistungen für Kredite zu übernehmen, seien inhaltlich bestimmt, legten Zweck, Grundmodalitäten und Volumen möglicher Gewährleistungen fest, erklärte das Gericht.

"Im Übrigen besitzt der Gesetzgeber einen weiten, vom Bundesverfassungsgericht nicht überprüfbaren politischen Einschätzungsspielraum", betonte Andreas Voßkuhle in der Begründung. Das gelte in diesem Fall insbesondere für die Wahrscheinlichkeit, für Gewährleistungszusagen einstehen zu müssen, für die Abschätzung der künftigen Tragfähigkeit des Bundeshaushaltes und des wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschland, sagte Voßkuhle.

Zustimmung des Parlaments erforderlich

Trotzdem gab das Gericht dem Bundestag und der Bundesregierung für künftige Hilfsmaßnahmen eine Aufgabe mit. Denn das Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz verpflichte die Regierung nur dazu, sich um Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Bundestages zu bemühen, erläuterte Andreas Voßkuhle: "Das reicht zur Gewährleistung der parlamentarischen Haushaltsautonomie nicht aus." Die Bundesregierung sei grundsätzlich verpflichtet, vor Übernahme von Gewährleistung jeweils die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses einzuholen.

Damit entsprach das Urteil der Einschätzung vieler Europa- und Verfassungsrechtler, die das Verfahren beobachtet hatten. Vor allem für den künftigen permanenten Rettungsschirm, über den das Parlament noch abstimmen muss, ist eine stärkere Einbindung des Parlaments nun unabdingbar.

Der parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Steffen Kampeter, zeigte sich nach der Urteilsverkündung sichtlich zufrieden. Die Politik der Bundesregierung habe Rückendeckung erhalten, sagte Kampeter DW-WORLD.DE, denn die Anforderungen aus dem Urteil seien Praxis im Haushaltsausschuss. Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Staatssekretäre hätten den Haushaltsausschuss nicht nur unterrichtet, sondern stets auch um Zustimmung geworben, so Kampeter.

Signal der Handlungsfähigkeit

Joachim Starbatty, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen und einer der Kläger (Foto: DW/Grathwohl)
Einer der Kläger: Der Tübinger Wirtschaftsprofessor Joachim StarbattyBild: DW

Das Karlsruher Urteil sei ein Signal der Handlungsfähigkeit und der Stabilität und mache deutlich, dass die Bundesregierung für die aktuellen Entscheidungen voll handlungsfähig sei, sagte Kampeter: "Das wird sicherlich auch auf den Kapitalmärkten begrüßt werden."

Die Kläger, die gehofft hatten, Griechenlandhilfe und Euro-Rettungsschirm sowohl rückwirkend als auch für die Zukunft kippen zu können, sahen sich trotzdem bestätigt. Das Gericht habe die Verfassungsbeschwerden abgelehnt, aber genau gesagt, was der Bundestag in Zukunft zu tun habe, erklärte Joachim Starbatty, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen. Der Bundestag müsse das Budgetrecht behalten und es nicht im Sinne Europas abgeben. Es gebe keine europäische Finanzregierung – und das sei als Erfolg zu werten, meinte Starbatty.

Das Urteil kann nun als Argumentationshilfe für Kanzlerin Angela Merkel dienen, die derweil in Berlin für mehr Zustimmung zum neuen, permanenten Euro-Rettungsschirm wirbt. Denn in den nächsten Wochen steht die Abstimmung über diesen im Bundestag an. Sicher ist die Mehrheit dafür derzeit nicht.

Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Julia Elvers-Guyot