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Symbolfigur mit Pfeife

14. Juni 2011

Mit Mut und Selbstbewusstsein hat sich Sinem Turac Respekt in Berlins höchster Fussballliga verschafft. Doch die türkischstämmige Schiedsrichterin sorgt auch abseits des grünen Rasens für positive Schlagzeilen.

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Schiedsrichterin Sinem Turac
Bild: Turac
Sinem Turac als Assistentin des Stadionsprechers beim EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen die Türkei am 8.10.2010 im Berliner Olympiastadion.
"Stadionsprecherin"Bild: Turac

EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen die Türkei im Berliner Olympiastadion im Oktober 2010: Kurz vor Anpfiff blicken 75.000 Stadionbesucher auf Sinem Turac. Die 23-jährige Berliner Schiedsrichterin assistiert an diesem Abend dem Stadionsprecher und begrüßt die zahlreichen türkischen Fans in ihrer Landesprache. Als sie hörte, dass der Deutsche Fussball-Bund (DFB) sie für diese Aufgabe haben wollte, sei sie natürlich sehr aufgeregt gewesen, sagt sie. "Doch nachdem ich die ersten paar Sätze gesagt hatte, konnte ich die vielen Zuschauer komplett ausblenden und habe mich richtig wohl gefühlt."

Der Auftritt im Olympiastadion wurde so zum "größten Highlight" ihres bisherigen Lebens, sagt Turac, und eine "tolle Erfahrung", die sie geprägt habe. Mut zum Außergewöhnlichen, volle Konzentration auf die Aufgabe und Selbstbewusstsein im Umgang mit Menschen sind Eigenschaften, die der Fußball ihr beigebracht habe, sagt die junge Schiedsrichterin, die mittlerweile neben der Berlin-Liga der Männer auch Spiele in der 2. Bundesliga der Frauen pfeift.

Früher Seitenwechsel

Angefangen hat alles auf den Bolzplätzen im Berliner Stadtbezirk Tempelhof, wo Sinem Turac aufgewachsen ist und schon früh lernte, sich in der Männerdomäne Fußball durchzusetzen. Anfänglich sahen ihre Eltern die Leidenschaft ihrer Tochter für diesen Sport nicht gerne und verboten ihr, in einen Fußballverein einzutreten. "Mein Vater war der Meinung, vom Fußball bekommt man O-Beine, und Mädchen würden dadurch hässlich", erinnert sie sich.

Das Verbot fiel erst, als sie 12 Jahre alt wurde. Was folgte, war der hoffnungsvolle Beginn einer Karriere als Fußballerin, der die talentierte Türkin bis in die Berliner Jugend-Mädchenauswahl brachte. Doch nach nur dreieinhalb Jahren als Spielerin war plötzlich Schluss damit. Der Trainer eines Vereins, zu dem sie damals wechselte, ließ sie nur auf der Auswechselbank schmoren, was ihr gar nicht schmeckte, sagt sie. "Als mich dann der Vater meiner besten Freundin ansprach, ob ich nicht Schiedsrichterin werden möchte, zögerte ich zuerst, ließ mich aber dann doch überreden."

Der Mann - selbst Schiedsrichter - erkannte Sinems Charaktereigenschaften, die sie wie geschaffen für die Aufgaben als Unparteiische machen: Entscheidungskraft, körperliche Fitness und Sachlichkeit im Auftreten.

Rascher Aufstieg

Dann ging alles sehr schnell. Turac absolvierte einen Schiedsrichterlehrgang und pfiff im Dezember 2003 ihr erstes Spiel im Jugendbereich. Ihre Leidenschaft fürs Pfeifen hat sie mittlerweile bis in den Schiedsrichter-Leistungskader des Berliner Fußballverbands gebracht, wo sie regelmäßig Regelkunde-Schulungen erhält und ihre Leistungen mittels Videoaufzeichnungen analysiert werden.

"Sinem Turac kann noch sehr viel erreichen, und wir werden sie deshalb weiter intensiv fördern", sagte der Leiter des Schiedsrichter-Leistungskaders, Bodo Brandt-Cholle. Doch die nur 1,67 Meter große Schiedsrichterin hält sich bedeckt hinsichtlich ihrer sportlichen Ziele. Sie spricht viel lieber über die persönlichen Eigenschaften, die sie durch den Fußball über die Jahre hinzugewonnen hat.

Als Schiedsrichter stehe man als Frau vor den gleichen Problemen wie ein Mann, findet sie. "In jedem Spiel versuchen die Spieler, den Schiedsrichter auszutesten", sagt sie und fügt hinzu: "Man muss deshalb klare Zeichen setzen, Mut zu kontroversen Entscheidungen haben und diese dann selbstbewusst gegenüber den Spielern vertreten."

Sie habe deshalb sehr schnell gelernt, dass Schüchternheit wenig bringt. Allerdings müsse man auch lernen, mit Kritik an der eigenen Leistung umzugehen, die man als Schiedsrichter nicht zu knapp bekäme. Doch ihre Leistungen haben ihr "Respekt unter den Spielern wie auch ihren Schiedsrichterkollegen verschafft", findet sie, so dass Äußerungen wie "Geh doch lieber kochen" ihr gegenüber noch kein Spieler gewagt habe.

Vorbild ohne Star-Allüren

Sinem Turac (2.v.r.) bei einer Integrationsveranstaltung mit Steffi Jones (l., Frauen-WM-OK-Präsidentin), Maria Böhmer (Integrationsbeauftragte der Bundesriegierung) und DFB-Präsident Theo Zwanziger
Werben für IntegrationBild: Turac

Kontroversen ist Sinem Turac noch nie aus dem Weg gegangen. Sie setzte sich gegen ihre Eltern durch, als sie aktiv Fußball im Verein spielen wollte. Mit 18 Jahren wechselt die Türkin im letzten Jahr ihres Abiturs freiwillig von einem Gymnasium mit vorwiegend Musterschülern und einem geringen Anteil an Ausländern auf eine Oberschule im von türkischen Familien dominierten Bezirk Kreuzberg. "Ich konnte die ganzen Vorurteile von dauernder Gewalt und Ausländerbanden unter den Schülern nicht mehr hören", sagt sie. "Ich wollte mir ein eigenes Bild machen und was verändern."

Sie gewinnt den Respekt ihrer Mitschüler und wird Schulsprecherin. Im Jahr 2007 übernimmt sie ehrenamtlich das erste nationale Integrationsprojekt für Mädchenfußball an einer Grundschule im Berliner Problemkiez Wedding. Bis sie das Projekt 2009 abgibt, trainierte sie einmal wöchentlich bis zu 30 Mädchen von Ausländerfamilien.

In diesem Jahr will sie ein neues Mädchen-Fußballprojekt starten und konnte dafür die Unterstützung öffentlicher Stellen in Berlin gewinnen. Sie freue sich, wenn sie für junge Menschen ein gutes Vorbild sein könne, sagt sie, und wenn sie mehr Mädchen mit Migrationshintergrund für den Fußball begeistern könne. "Außerdem wünsche ich mir, dass es bei deren Eltern 'Klick' macht und sie zu ihren Töchtern sagen: 'Seht, das ist Sinem Turac, die hat es geschafft. Warum sollst du es nicht auch schaffen'."

Öffentliche Anerkennung

Sinem Turacs engagiertes Auftreten blieb auch dem Deutschen Fussball-Bund nicht verborgen. Die Verantwortlichen ernannten sie deshalb zur DFB-Integrationsbotschafterin. Zusammen mit deutschen Fußball-Größen wie den Nationalspielern Serdar Tasci und Cacau sowie der Bundesliga-Spielerin Celia Okoyino da Mbaba wirbt sie nun für ein faires Miteinander in Sport und Gesellschaft. "Sinem Turac ist ein Paradebeispiel dafür, welche integrative Kraft der Fußball hat", sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger.

Auch die Politk entdeckte sie für hehre Ziele. Kanzlerin Angela Merkel lud sie zu einer Podiumsdiskussion zur Thematik ausländische Mitbürger ein. Auch übernahm Turacs die Hauptrolle in einem Werbespot zum Thema Integration.

Ganz nebenbei absolvierte die heute 23-Jährige eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Zurzeit studiert sie im 5. Semester Betriebswirtschaftslehre und arbeitet für einen Mineralölkonzern in Berlin.

Auch wenn ihr der ganze Rummel um ihre Person manchmal zu viel wird, sagt sie, so möchte sie doch keine ihrer zahlreichen Aktivitäten missen. Sie sei froh, dass ihr Arbeitgeber Verständnis dafür hat. "Von meinem Arbeitgeber habe ich schon oft gehört, dass man sich freut, eine so engagierte Mitarbeiterin zu haben."

Autor: Uwe Hessler
Redaktion: Arnulf Boettcher