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Keine Überraschung bei Parlamentswahl in Tschetschenien

1. Dezember 2005

Wie erwartet hat die „Partei der Macht“ nach offiziellen Angaben die Wahlen gewonnen. Die erste Parlamentssitzung ist bereits für den 15. Dezember anberaumt. Menschenrechtler und Beobachter kritisieren die Wahl.

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Wahllokal in TschetschenienBild: AP

Die Parlamentswahl in Tschetschenien ist für gültig erklärt worden. Die vorläufigen Ergebnisse sind keine Überraschung. An erster Stelle ist die Partei „Einiges Russland“, gefolgt von der „Kommunistischen Partei der Russischen Föderation“ und der „Union Rechter Kräfte“. Diese drei Parteien ziehen in das tschetschenische Parlament ein. Offiziellen Angaben zufolge erreichte die „Partei der Macht“ mehr als 60 Prozent der Wählerstimmen. „Das Volk wählte die Abgeordneten, die sie heute im Parlament der Tschetschenischen Republik sehen möchten“, sagte der tschetschenische Präsident Alu Alchanow auf einer Pressekonferenz am 28. November. Er betonte zugleich, die Wahlbeteiligung sei sehr hoch gewesen.

Gefälschte Angaben

Menschenrechtler und einige Wahlbeobachter sind aber überzeugt, dass die Angaben gefälscht sind. „In der Stadt Grosny ignorieren die Menschen die Wahlen einfach, besonders heute. Sie wurden schon so oft aufgefordert, wählen zu gehen. Ihnen wurde schon so oft Versprechen gemacht. Sie haben, was die Wahlen angeht, keine Hoffnung mehr und sind der Ansicht, dass die Wahlen sinnlos sind. Die Stadt war leer und leblos“, sagte Tatjana Lokschina von der Menschenrechtsorganisation „Demos“. Ihrer Meinung nach haben die Parlamentswahlen nach einem festgelegten Plan stattgefunden: „In den Dörfern ist jeder unter Beobachtung. Wir waren beispielsweise gestern im Bezirk Schatoj. Sie müssen sich das in ganz kleinen Dörfern so vorstellen; beispielsweise in einem Dorf, wo 192 Wähler leben: Der Administrationschef des Dorfes befindet sich im Wahllokal und zählt jeden, der gekommen ist, und jeden, der nicht gekommen ist. Um 15 Uhr wird festgestellt, dass von den 192 Wählern nur 163 gekommen sind. Die restlichen werden aufgefordert, innerhalb einer Stunde zu erscheinen. Die Administrationsleiter in den Dörfern erhalten Anweisungen von ihren Bezirkschefs, für wen abgestimmt werden muss. In kleinen Dörfern ist es nicht schwierig, den Menschen verstehen zu geben, dass es für sie selbst gut sein wird, wenn sie so stimmen werden.“

Ausgehandeltes „Wahlergebnis“

Menschenrechtler sind überzeugt, dass die Sitzverteilung im Parlament vorab mit der föderalen und republikanischen Staatsmacht ausgehandelt wurde. Die bescheidene Vertretung der Partei „Union Rechter Kräfte“ im tschetschenischen Parlament schaffe beim liberalen Teil der russischen Öffentlichkeit nur die Illusion, dass sich in der Republik irgendetwas zum Besseren wenden könnte. Lokschina meint, dass viele Parteien sich davor fürchten, die größten Probleme Tschetscheniens zu thematisieren – die Entführungen und Ermordungen von Menschen sowie die Gesetzlosigkeit und Gewalt. Sie betonte: „In erster Linie sind die Behörden für die schweren Verbrechen und die Menschenrechtsverstöße verantwortlich. Die Macht gerade dieser Leute wird immer mehr gefestigt.“

Europarat: Wahlen waren nicht frei

Vertreter europäischer Institution, die sich in Grosny aufhielten, erklärten während eines Treffens mit dem tschetschenischen Präsidenten Alchanow, sie könnten die Wahlen nicht als frei bezeichnen. Man könne nicht von Freiheit sprechen, wenn Menschen entführt würden und verschwänden und wenn die Staatsmacht die Bürger der Republik einschüchtere, sagte der Leiter der Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Andreas Gross. Er und sein Kollege Rudolf Bindig betonten, die reale Macht in Tschetschenien sei derzeit in der Hand von Vizepremier Ramsan Kadyrow und dessen Umfeld.

GUS-Beobachter zufrieden

Ganz anders bewerten die Wahlen die Beobachter der GUS, deren Leiter Walerij Kiritschenko sagte, so gut organisierte und ruhige Wahlen seien bisher praktisch nirgendwo beobachtet worden. Sogar der tschetschenische Präsident Alchanow selbst gab ehrlich zu, dass zum heutigen Zeitpunkt Wahlen in Tschetschenien nach europäischen Standards nicht möglich seien.

Natalja Nesterenko

DW-RADIO/Russisch, 28.11.2005, Fokus Ost-Südost