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Kein Vertrauensbeweis

Thomas Bärthlein1. Mai 2002

Der Abstimmungssieg des pakistanischen Präsidenten Musharraf ist möglicherweise seine größte politische Niederlage. Mit der manipulierten Volksabstimmung hat er viel Kredit verspielt, meint Thomas Bärthlein.

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Musharraf hat sich immer darauf berufen und davon profitiert, "anders" zu sein. Anders als seine korrupten zivilen Amtsvorgänger Nawaz Sharif und Benazir Bhutto, aber auch anders als frühere Militärherrscher in der Geschichte Pakistans wie General Zia ul-Haq. Ein verantwortungsbewusster Präsident eben, dem nicht seine eigene Macht oder die Interessen einer kleinen Clique am Herzen liegen.

Jetzt hat seine weiße Weste Flecken bekommen. Denn eine verfassungsmäßig bedenkliche Abstimmung anzusetzen, oppositionelle Kritiker auszutricksen, Staatsbedienstete in die Wahllokale zu zwingen und auch Wahlfälschungen zu tolerieren, das passt nicht zum Image des Kämpfers gegen die Korruption. Wenn Musharraf wirklich ein gültiges Mandat der Bevölkerung will, warum hat er nicht bis nach den Parlamentswahlen im Oktober gewartet und sich dann zum Präsidenten wählen lassen, wie es die Verfassung vorsieht?

Es stimmt, dass die Pakistaner desillusioniert sind, was ihre zivile politische Elite betrifft. Aber Musharraf und den Militärs schlägt auch nicht gerade Begisterung entgegen. 37 Prozent hatte die Wahlbeteiligung bei den letzten Parlamentswahlen betragen - jetzt bei Musharrafs Referendum lag sie offensichtlich deutlich darunter.

Musharraf und das Militär als einziger Stabilitätsanker in einem ansonsten chaotischen Land - dieses Bild, das sich manche im Ausland machen, überzeugt die Pakistaner offenbar nicht richtig. Und das mit gutem Grund: Ein stabiles parlamentarisches System, in dem sich Regierung und Opposition in der politischen Verantwortung abwechseln, hat sich in der 55jährigen Geschichte Pakistans - im Gegensatz zum Nachbarland Indien, das gleichzeitig unabhängig wurde - nie entwickeln können. Die Schuld daran jedoch pauschal den Parteien und den zivilen Politikern in die Schuhe zu schieben, wäre ungerecht. Alle paar Jahre hat das Militär in Pakistan geputscht und jeden Ansatz demokratischer Kultur im Keim erstickt.

Die chronischen Probleme Pakistans - Anhäufung allen Reichtums in den Händen einer kleinen Elite, ethnische Streitigkeiten, unversöhnliche Fixierung auf das Feindbild Indien - all das hat das Militär in Jahrzehnten an der Regierung genauso wenig überwinden können wie die zivilen Politiker. Das gravierendste Problem der letzten Jahre war der gewachsene Einfluss sektiererischer sunnitischer Gruppen, die Staat und Gesellschaft unterwandert hatten, obwohl sie eigentlich nur eine winzige Minderheit der Pakistaner vertraten. Der Schaden, den sie durch Unterstützung der Taliban, aber auch durch Anschläge auf religiöse Minderheiten im eigenen Land, vor allem Schiiten, anrichteten, war umso größer. Zwar müssen auch demokratisch gewählte Politiker einen Teil der Verantwortung dafür tragen. Aber entscheidend war die Rolle des Militärs. Mit der Islamisierung Pakistans hat vor zwanzig Jahren der Militärdiktator Zia ul-Haq begonnen.

Musharraf hat nach dem 11. September einige kluge Weichenstellungen unternommen, indem er Militär und Geheimdienste von der islamistischen Umklammerung befreit hat. Pakistan, noch vor wenigen Monaten international als sogenannter "gescheiterter Staat" angesehen, hat wieder eine Entwicklungsperspektive. Auch die Wirtschaft beginnt wieder zu florieren.

Es wäre vernünftig gewesen, für die Reformen eine breite Mehrheit in der Gesellschaft und eben auch der traditionellen politischen Elite zu mobilisieren. Statt dessen hat Musharrafs Auftreten im Wahlkampf der vergangenen Wochen das Land gespalten. Es liegt nun an ihm, bis zu den Parlamentswahlen im Oktober die Lektionen daraus zu ziehen.