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Politik

(K)ein Ende der Krise in Katalonien in Sicht

21. Dezember 2017

Nach der Entmachtung der katalanischen Regionalregierung Ende Oktober sollen Neuwahlen die politische Krise beenden. Doch nach den Ereignissen der letzten Monate ist Katalonien gespaltener denn je, berichtet Lisa Louis.

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Spanien - Katalonien vor der Wahl
Vier Finger, die für die vier Balken der Estelada-Flagge stehen, der Fahne der autonomen spanischen Region KatalonienBild: picture-alliance/dpa/E. Morenatti

Die Bilder gingen um die Welt. Eine alte Frau wird von Männern in Kampfausrüstung davongetragen. Eine andere verzieht vor Schmerzen das Gesicht, als ein Polizeibeamter sie am Nacken festhält. Einen Mann ziehen die Polizisten an den Haaren davon. Dazu weitere Fotos blutender Männer und Frauen. An jenem Tag, dem 1. Oktober dieses Jahres, stimmte Katalonien in einem umstrittenen Referendum über die Unabhängigkeit von Spanien ab. Das Votum - und was danach kam - stürzte die Region in eine tiefe politische Krise. Die Zentral-Regierung will diese nun durch Neuwahlen beenden. Doch ob das funktionieren wird, ist fraglich. Denn Katalonien ist gespaltener denn je.

Kurze Zeit nach der Volksabstimmung - die laut der spanischen Verfassung illegal war - erklärte der damalige Chef der katalanischen Regierung, Carles Puigdemont, einseitig die Unabhängigkeit. Schließlich hatten deren Verfechter mit mehr als 90 Prozent der Stimmen das Votum gewonnen. Es hatten allerdings lediglich 43 Prozent der Wahlberechtigten daran teilgenommen. Spaniens Premier Mariano Rajoy berief sich daraufhin auf den Artikel 155 der Verfassung und übernahm die Regierungsgewalt in Katalonien. Einige der Anführer kamen ins Gefängnis, andere wie Puidgemont flohen nach Belgien, wo sie sich noch immer befinden. Die Wahlen an diesem Donnerstag (21.12.2017) sollen der Region wieder eine stabile Regierung geben.

Spanien Katalonien Proteste vor Museum von Lleida
Bilder, die den Separatisten in die Hände spielen: Brutal geht die Polizei gegen Demonstranten vor, die gegen den Abtransport von Kunst aus einem katalanischen Museum protestieren, der von einem Gericht angeordnet wurdeBild: picture-alliance/AP Photo/M. Fernandez

Große Unterschiede innerhalb der zwei politischen Blöcke

Dabei treten sieben Parteien an. Die Unabhängigkeit scheint das einzige Wahlthema zu sein. Drei der Parteien sind für die Unabhängigkeit - die linksgerichteten ERC und CUP sowie Puigdemonts konservative Junts per Catalunya. Drei weitere sind für ein vereintes Spanien: die liberalen Ciudadanos, die konservative Partido Popular (PP) und die Partei der Sozialisten Kataloniens. Das Bündnis CatComú Podem hat bis jetzt nicht klar erklärt, welchem Block es sich anschließt.

Für Llum, die ihren Nachnamen nicht nennen will, sind die Wahlen jedoch in jedem Fall nur ein weiterer Schritt zur unausweichlichen Zukunft der Unabhängigkeit Kataloniens. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eines Tages unabhängig sein werden - auch wenn das ein paar Jahre dauern sollte." 

Die 24-jährige Pianistin macht sich stark dafür - im Netz, auf der Straße und in den Kneipen. Sie hat sich einer Graswurzelorganisation angeschlossen. Mit Dutzenden anderen hat sie vor kurzem mehrere Twitter-Accounts aufgemacht. Auf @raonsperlarepublica erklären die Aktivisten die Gründe für eine Loslösung von Madrid und auf @Birresrepublica laden sie dafür auf ein Bier ein. Sie haben Pro-Unabhängigkeitsplakate konzipiert, die Freiwillige in ganz Katalonien aufhängen.

Mit dem Referendum kam die Wende

Dabei war Llum bis zum Tag des Referendums gar nicht für ein unabhängiges Katalonien. "Ich wollte eigentlich dagegen stimmen", sagt sie. "Aber ich war so geschockt, als ich morgens die Bilder sah - da konnte ich nur noch für die Unabhängigkeit stimmen. Das waren doch nur Menschen, die wählen gehen wollten - und die Polizisten haben einfach auf sie eingeprügelt!", sagt sie und guckt ungläubig. "Für mich war ab jenem Moment klar, dass es eine Zukunft für uns innerhalb Spaniens nicht mehr geben kann."

Auch David Fernández sieht für Madrid und Barcelona keine gemeinsame Perspektive mehr. Er fühlt sich "von denen" in Madrid missverstanden und verstoßen. Vor allem, seit 2011 die PP unter Mariano Rajoy an die Macht gekommen ist. Die Partei wurde 1989 von einem ehemaligen Minister des Diktators Francisco Franco gegründet. Katalonien war unter dem Diktator ein Zentrum der Opposition, und Franco ging harsch gegen die katalanische Sprache und Identität vor. Für David führt die PP diese Linie weiter. Das habe man auch an den Ausschreitungen am 1. Oktober gesehen. "Es ist offensichtlich, dass sie uns nicht mögen und auch keinerlei Verständnis für unsere Eigenheiten haben. Wie kann eine Partei über uns bestimmen, die bei den letzten Wahlen in Katalonien nur acht Prozent der Stimmen bekommen hat?", sagt er. Der 37-jährige Kaufmann hat extra ein Twitter-Konto aufgemacht, um Informationen über die Wahlen weiterzuverbreiten.

Brüssel Demonstration für unabhängiges Katalonien
Unterstützer aus ganz Europa demonstrieren im Dezember in Brüssel ihre Solidarität mit der UnabhängigkeitsbewegungBild: Reuters/Y. Herman

Die Unabhängigkeit wäre laut Fernández auch wirtschaftlich lohnend - schließlich zahle die nordspanische Region schon jetzt mehr an Madrid als sie bekomme. "Wir sind eine reiche Region, und daran wird auch die Unabhängigkeit nichts ändern", sagt er. Dass mehr als 3000 Unternehmen Katalonien seit dem Votum verlassen haben, ändere für ihn nichts daran. "Das ist eine relativ geringe Zahl angesichts der insgesamt rund 260.000 Firmen mit Sitz in der Region. Es zeigt eher, dass die meisten bleiben", meint er.

Streit der Experten

Unterstützung bekommen David und Llum von Agustí Colomines. Er ist Professor für zeitgenössische Geschichte an der Universität Barcelona und klar für die Unabhängigkeit. "Ich glaube, dass wir als unabhängiges Katalonien sehr erfolgreich wären - auch deswegen, weil Barcelona ein wichtiger Verbindungshafen nach Afrika ist", sagt er.

So würden europäische Staaten langfristig einsehen müssen, dass die Katalanen ein Recht auf Unabhängigkeit hätten. "Es geht hier um einen Kampf zwischen Demokratie und Unterdrückung. Nach den Bildern vom 1. Oktober kann die EU nicht mehr wegsehen. Wenn sie langfristig überleben will, muss sie sich für die Demokratie entscheiden", meint er. 

Spanien - Katalonien vor der Wahl
Die Unabhängigkeitsbewegung macht auch vor Weihnachtsbräuchen nicht halt: Traditionell werden die respektlosen 'Caganer' in den Weihnachtskrippen platziert - diesmal mit spanischer, katalonischer und separatistischer FlaggeBild: Reuters/A. Gea

Sein Kollege Alberto Pellegrini, auch Professor für Geschichte an der Universität Barcelona, sieht das allerdings anders. "Die EU ist ein Staatenbund. Es liegt einfach nicht in ihrem Interesse, Unabhängigkeitsbewegungen anzuerkennen - da würden sie sich ja ins eigene Fleisch schneiden und vielleicht sogar ähnlichen Bewegungen in ihrem eigenen Land Aufwind geben", sagt er.

Pellegrini kommt ursprünglich aus Norditalien und lebt seit 2002 in Barcelona. Für ihn war die Region noch nie so gespalten. "Das Streben nach Unabhängigkeit hat eine tiefe Wunde aufgerissen - das war alles andere als positiv", sagt er. "Freunde und Familien haben sich zerstritten, bei der Arbeit redet man nicht mehr über Politik, und es liegt ein Gefühl des Unwohlseins über der Region." 

Zwei oder drei Wahlgänge?

Er hofft, dass es in naher Zukunft wieder zu einer Versöhnung kommen wird. Die anstehenden Wahlen allein würden dazu aber wahrscheinlich nicht reichen. "Die Umfragen zeigen, dass wahrscheinlich keiner der Blöcke eine Mehrheit im Parlament gewinnen wird", sagt er. "In dem Fall wird es wohl Neuwahlen geben." Viele hier in Barcelona rechneten so mit zwei oder sogar mehr Wahlgängen.

Selbst wenn es zu einer klaren Mehrheit kommen sollte, ist die Lage alles andere als einfach. Sollten die Verfechter der Unabhängigkeit gewinnen, hat die Zentralregierung schon angekündigt, gegebenenfalls den umstrittenen Artikel 155 wieder in Kraft zu setzen. Ein Sieg der Gegenseite würde auch nicht unbedingt für Ruhe sorgen. Denn das tiefe Gefühl der Zerstrittenheit bleibt.

Spanien Stimmungsbericht Wahl Regionalparlament in Katalonien
Fühlt sich von Barcelona verstoßen und ist gegen die Unabhängigkeit: Jaume VivesBild: DW/L. Louis

Das sieht auch Jaume Vives so. Jedoch von der anderen Seite. Er ist gegen die Unabhängigkeit und fühlt sich nicht von Madrid, sondern von Barcelona verstoßen. "Es gehörte sich einfach nicht, in Katalonien für ein vereintes Spanien zu sein", sagt er und fügt hinzu, dass ihm lange Zeit ein unterschwelliges Gefühl der Verachtung entgegengebracht wurde. "Sie haben gesagt, wir seien in der Minderheit, seien alle Faschisten und gewalttätig."

Für Vives sitzen die Gründe der Krise tief. "Die Medien und der Erziehungssektor Kataloniens sind völlig von den Verfechtern der Unabhängigkeit dominiert", sagt er. So änderten diese sogar die Geschichtsschreibung zu ihren Gunsten ab, um den Mythos der Unabhängigkeit zu verstärken. "Das muss Madrid ändern - erst dann kann es hier wieder zur Ruhe kommen."